4 - Wächter der Ewigkeit
beerdigt sie.«
»Sollen wir sie denn nicht den Verwandten übergeben?«
Einen Moment dachte Geser nach. »Was meinst du dazu, Anton?«, wandte er sich überraschend an mich.
»Ich weiß nicht«, gab ich ehrlich zu. »Ob sie nun spurlos verschwunden sind oder gestorben … Ich weiß nicht, was für die Verwandten besser ist.«
»Beerdigt sie«, befahl Geser. »Wir beschäftigen uns damit, wenn wir den Kopf frei haben. Vielleicht werden wir sie stillschweigend exhumieren und den Verwandten übergeben. Uns für jeden Einzelnen eine Geschichte ausdenken … Konnten bei allen Papiere festgestellt werden?«
»Ja. Sie lagen extra, auf einem Stapel. Sehr akkurat …«
Schmerzlich stach mich dieses Wort. Akkurat.
O ja, immer war er akkurat gewesen. Bevor er ein Loch in die Wand bohrte, legte er alles mit Plastikfolie aus. Anschließend wischte er sorgfältig den Boden …
»Wie konnte uns das entgehen?«, fragte Geser mit schmerzvoller Stimme. »Wieso haben wir das nicht mitbekommen? Wenn ein Vampir vor unserer Haustür fünfzig Menschen umbringt!«
»Sie kamen alle … von auswärts. Aus Tadschikistan, Moldawien und der Ukraine …« Garik seufzte. »Schwarzarbeiter. Sie sind nach Moskau gekommen, um hier was zu verdienen. Natürlich war keiner von ihnen hier gemeldet. Sie hielten sich alle illegal hier auf. Sie haben ihre Treffpunkte an großen Straßen, da stehen sie dann Tag für Tag, bis ihnen jemand Arbeit gibt. Er ist doch Bauarbeiter, oder? Da kannte er alle – und alle kannten ihn. Er ist einfach dorthin gefahren, hat gesagt, er brauchte fünf Leute für den Bau. Hat sie sich sogar noch selbst ausgesucht … dieses Drecksvieh. Dann hat er sie abtransportiert. Die Woche drauf hat er sich eine neue Fuhre geholt.«
»Wie leben die Menschen bloß?«, fragte Geser. »Selbst heute noch? Fünfzig Menschen verschwinden – und niemand vermisst sie?«
»Niemand«, bestätigte Garik seufzend. »Dieser abgestorbene Scheißkerl … Er hat sie vermutlich nicht alle auf einmal umgebracht … Erst hat er einen ermordet, die übrigen mussten warten, bis sie dran waren, einen Tag, zwei, drei … Da drüben, in diesem Zimmer. Die, die er ausgetrunken hatte, stopfte er in zwei Plastikbeutel, damit es nicht stank, und stellte sie in die Ecke … Er hat sogar die Heizungen abgestellt. Klar, er hat im Winter mit dieser Schweinerei angefangen …«
»Ich würde jetzt sehr gern jemanden umbringen«, presste Geser hervor. »Mit Vorliebe einen Vampir. Aber ich gäbe mich auch mit jedem x-beliebigen Dunklen zufrieden.«
»Dann versuch’s mal mit mir.« Garik unsanft zur Seite schiebend, betrat Sebulon das Wohnzimmer der Familie Sauschkin. Gähnend nahm er auf dem Sofa Platz.
»Provozier mich ja nicht«, warnte Geser ihn leise, wobei er nach wie vor aus dem Fenster starrte. »Sonst könnte ich das als offizielle Aufforderung zu einem Duell verstehen.«
In der Wohnung senkte sich Grabesstille herab. Sebulon kniff die Augen zusammen und setzte sich kerzengerade hin. Wie immer trug er einen Anzug, allerdings keine Krawatte. Aus irgendeinem Grund glaubte ich, er habe den schwarzen Anzug und das weiße Hemd bewusst gewählt. Als Zeichen seiner Trauer.
Olga und ich warteten ab, sahen die beiden alten Anderen an, von denen ein Sechstel unseres Planeten abhing.
»Das war nur so dahergesagt«, räumte Sebulon versöhnlich ein. Er lehnte sich zurück. »Was ist? Glaubst du, ich hätte von … von diesem unsäglichen Geschehen etwas gewusst?«
»Keine Ahnung«, blaffte Geser. Doch seine Stimme ließ keinen Zweifel daran: Er wusste ganz genau, dass er Sebulon in diesem Fall nichts vorwerfen konnte.
»Dann werde ich es dir sagen«, fuhr Sebulon genauso friedlich wie eben fort. »Ich bin nicht weniger entsetzt als du, möglicherweise sogar stärker. Die gesamte Gemeinde der Moskauer Vampire ist entsetzt und fordert eine Bestrafung des Verbrechers.«
Geser schnaubte.
»Du weißt, sie sind sehr empfindlich, wenn jemand ihre Futterbasis plündert …« Ganz konnte Sebulon auf Spott nicht verzichten.
»Ich werde ihnen ihre Futterbasis schon zeigen«, brachte Geser leise und nachdrücklich hervor. »Fünf Jahre lang werden sie nur noch konserviertes Blut bekommen.«
»Meinst du, die Inquisition unterstützt deine Forderung?«, hakte Sebulon nach.
»Ich denke schon.« Schließlich drehte Geser sich um und sah Sebulon in die Augen. »Ich denke schon. Und du wirst meine Eingabe ebenfalls unterstützen.«
Der Dunkle musste als Erster den
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