4 - Wächter der Ewigkeit
die letzte Tat im Leben dieses Weibsbilds sein. Vampire nehmen persönliche Beleidigungen sehr krumm.
Sympathie rief die Frau jedoch auch bei mir nicht die Spur hervor.
»Wem hast du die Wohnung verkauft?«, wollte Olga wissen. »Dieser Insassin einer psychiatrischen Heilanstalt?«
»Ich habe eine Agentur damit beauftragt.«
»Dann sind das doch keine armen Menschen, wenn sie sich eine Wohnung leisten können.« Olga zuckte die Schultern. »Wie kann man sich da nur so gehen lassen?«
Offenbar empörte sie die Grobheit der Frau weniger als ihr schlampiges Äußeres. Nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren und der anschließenden Verbannung in die Eule war Olga in dieser Hinsicht von einer fast manischen Strenge.
Die Frau, die Olga hier kurzerhand rekrutiert hatte, schlug bereits mit Händen und Füßen auf Sauschkins Tür ein. »Aufmachen!«, kreischte sie mit hysterischer Stimme. »Aufmachen, du Blutsauger! Du setzt mir die ganze Wohnung unter Wasser! Noch dazu Heißwasser, du Schafskopp!«
»Diese gutherzigen und zufälligen Ahnungen der Menschen rühren mich doch immer wieder«, bemerkte Olga. »Wie kommt sie darauf, dass ihr Nachbar, der ihr die Wohnung unter Wasser setzt, noch dazu unter kochendes, ein Blutsauger ist?«
Inzwischen zählte die Frau oben ihr ertränktes und beschädigtes Eigentum auf. Die Liste verblüffte mich dermaßen, dass ich mich unwillkürlich umdrehte: Quoll womöglich schon Wasserdampf zur offenen Tür ihrer Wohnung heraus?
»Ein tschechisches Klavier, ein japanischer Fernseher, eine italienische Sitzgarnitur, ein rötlicher Nerzmantel!«
»Ein Araberhengst, ein Brauner«, schlug Olga amüsiert vor.
»Ein Araberhengst! Ein Brauner!«, wiederholte die Frau gehorsam.
»Da ist niemand«, befand Olga. »Da rührt sich niemand …«
»Mama!«, rief jemand leise hinter mir. Ich drehte mich um.
Aus meiner ehemaligen Wohnung war ein kleines Mädchen herausgekommen, kaum älter als Nadja. Sieben, vielleicht acht Jahre, ein liebes Kind mit einem traurigen und erschreckten Gesicht. Im Unterschied zur Mutter war sie wie eine Puppe gekleidet: ein hübsches Kleid, weiße Kniestrümpfe und Lackschühchen. Uns sah sie voller Angst an, ihre Mutter mit einem müden, erschöpften, mitleidigen Ausdruck.
»Mein Sonnenscheinchen!« Die Frau sprang von Sauschkins Tür weg. Zwischen ihrer Tochter und der Wohnung des Nachbarn hin und her gerissen, schaute sie immer wieder voller Panik zu Olga hinüber.
»Gehen Sie nach Hause«, sagte Olga leise. »Sie werden jetzt nicht mehr unter Wasser gesetzt. Ihren Nachbarn knöpfen wir uns vor. Wir sind von der Wohnungsverwaltung. Und morgen früh suchen Sie einen Friseur auf, lassen sich die Haare machen und manikürieren.«
Die Frau packte das Mädchen bei der Hand und schlüpfte mit einem verschreckten Blick auf uns in ihre Wohnung.
»Was es nicht alles gibt im Leben …«, meinte Olga nachdenklich, während sie Mutter und Tochter nachsah.
»Und wagt es ja nicht«, sagte die Frau, während sie die Tür bereits schloss, »noch einmal in den Fahrstuhl … zu pullern! Ich ruf die Miliz!«
Dieses »pullern« war der Tochter geschuldet, eine Verharmlosung, die jedoch besonders grauenvoll wirkte. Als ob es im Kopf der Frau Zeitschaltuhren gab, die versuchten, ihre Gedanken in normale Bahnen zu lenken.
»Ist sie krank?«, fragte ich Olga.
»Das Problem ist, dass sie es nicht ist«, antwortete Olga verärgert. »Psychisch ist sie gesund! Gehen wir durchs Zwielicht …«
Mit einem Blick fand ich meinen Schatten und trat in ihn hinein.
Neben mir tauchte Olga auf.
Wir sahen uns um – und ich stieß unwillkürlich einen Pfiff aus. Im ganzen Treppenhaus wuchs, zu Klumpen geballt, dieser blaue Mist. Wie ein ultramarinfarbener Bart hing das Moos von der Decke und vom Geländer, bildete auf dem Fußboden einen azurblauen Teppich und ballte sich in wabenartigen blauen Kugeln um die Glühbirnen – eine Inspiration für jeden Designer, der einen neuen Stil für Lampenschirme kreiert.
»Um dieses Haus kümmert sich niemand«, meinte Olga leicht verwundert. »Dabei richten sie genug an … der durchgeknallte Vampir und die hysterische Dame …«
Wir steuerten auf die Tür zu. Ich rüttelte an ihr. Natürlich war abgeschlossen. Doch selbst schwache Andere bringen es fertig, ihre Tür in der ersten Zwielicht-Schicht zu versperren.
»Tiefer?«, fragte ich.
Statt zu antworten, trat Olga einen Schritt zurück, damit sie ausholen und kräftig mit dem Fuß gegen das
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