4 - Wächter der Ewigkeit
Blick senken. Sebulon seufzte, drehte sich um, sah mich an und breitete die Arme aus, damit seine Ratlosigkeit bekundend: Was soll ich mit dem bloß machen? Dann holte er eine Zigarette in frivolem Rosaton heraus und steckte sie sich an. »Sie werden ganz und gar in Raserei verfallen …«, konstatierte er.
»Macht nichts. Du wirst darauf achten, dass sie es nicht tun.«
»Du weißt genau, dass ihre Kinder ohne Blut nicht erwachsen werden. Die Geschlechtsreife setzt bei ihnen nur ein, wenn sie frisches Blut bekommen.«
Selbstverständlich scherte sich Sebulon einen Dreck um das Schicksal der Vampirkinder. Er wollte sich einfach über Geser lustig machen. Im Rahmen des Möglichen.
»Den Kindern? Den werden wir frisches Blut gewähren«, räumte Geser nach kurzer Überlegung ein. »Schließlich können die … wie viele … Anton?«
»Die zweiunddreißig.«
»Schließlich können die zweiunddreißig minderjährigen Blutsauger nichts dafür. Sie sollen ihr frisches Blut bekommen. Aber von Spendern! Die Ausgabe von Lizenzen wird für die nächsten fünf Jahre eingestellt.«
»Einverstanden«, stimmte Sebulon ihm seufzend zu. »Ich bin ja selbst der Ansicht, man müsse sie mal in ihre Schranken verweisen. Schließlich habe ich den Sekretär der Vampirgemeinschaft gebeten, Sauschkin im Auge zu behalten … Die Familie war einfach krank.«
»Ich hätte auf sieben Jahre bestehen sollen«, brummte Geser. »Du hast dich allzu bereitwillig auf die fünf eingelassen.«
»Jetzt ist es zu spät, wir sind uns bereits einig geworden.« Sebulon stieß eine Rauchwolke aus. »Anton«, wandte er sich an mich, »bist du nach Kostjas Tod mal bei Gennadi gewesen?«
»Nein«, antwortete ich.
»Warum nicht? Als ehemaliger Freund und Nachbar … oh, oh …«
Darauf blieb ich stumm. Vor acht Jahren hätte ich nach diesen Worten noch die Beherrschung verloren.
»Dieses Thema gehört nicht hierher«, mischte sich Geser ein. Mit gerunzelter Stirn blickte er in den Korridor, wo gerade die Leichen herausgetragen wurden. Im ganzen Haus hing jetzt ein leichter Zauber, der den Mietern jeden Wunsch austrieb, zur Tür herauszukommen oder aus dem Fenster zu schauen. Da vorhin jedoch auch auf das Gezeter der Nachbarin niemand herausgestürzt gekommen war, mussten hier allerdings ohnehin Menschen mit beneidenswert gering ausgeprägter Neugier wohnen.
Die zu lieben mir immer schwerer fiel. Dagegen sollte ich mal was unternehmen.
»Was noch?«, fragte Sebulon. »Dass wir euch helfen, Sauschkin zu fassen, versteht sich von selbst. Meine Leute sind schon ausgeschwärmt. Allerdings fürchte ich, dass er dir nicht in einem Stück geliefert wird …«
»Du siehst schlecht aus«, bemerke Geser plötzlich. »Geh mal ins Badezimmer und wasch dich.«
»Ach ja?«, wunderte sich Sebulon. »Gut, wenn du mich darum bittest …«
Er erhob sich, blieb einen Moment in der Tür stehen und ließ zwei Wächter vorbei, die auf einer Bahre eine in Plastikbeuteln verpackte, halb verweste Leiche heraustrugen. Abgesehen von Blut besteht der Mensch aus sehr viel Wasser. Wenn ein blutleerer Körper in einem Plastikkokon verfault – ist das Resultat ausgesprochen unangenehm.
Sebulon beeindruckte dieser Anblick jedoch nicht.
»Pardon, Madame«, murmelte er, während die Überreste an ihm vorbeizogen. Und ging munter ins Badezimmer.
»Waren unter den Toten auch Frauen?«, wollte Geser wissen.
»Ja«, antwortete Olga.
Daraufhin stellte Geser keine weiteren Fragen. Offenbar versagten unserem Alten seine Drahtseilnerven.
Die Jungs, die jetzt die Leichen fortschafften, würden sich heute Nacht die Kante geben. Und selbst wenn das gegen alle Regeln verstieß, würde ich sie nicht daran hindern. Eher würde ich selbst auf Streife gehen.
Nach einer Minute kam Sebulon wieder. Sein Gesicht glänzte feucht.
»Das Handtuch ist schmutzig, deshalb muss ich so trocknen«, verkündete er mit einem Lächeln. »Und?«
»Was meinst du dazu?«, fragte Geser.
»Ich hatte mal eine Bekannte, die zu Neujahr gern mit Zahnpasta einen Weihnachtsbaum auf den Spiegel gemalt hat. Plus den Wunsch: Prosit Neujahr! Und die Jahreszahl.«
»Sehr komisch«, blaffte Geser angewidert. »Hast du schon mal was von dieser Einrichtung gehört?«
»Von der Ewigen Wache?« Sebulon akzentuierte die großen Anfangsbuchstaben deutlich. »Mein lieber Feind, selbst unter den Dunklen gibt es unzählige Sekten, Grüppchen und schlichte Interessenvereinigungen, von denen ich noch nie gehört habe. Dann
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