4 - Wächter der Ewigkeit
habe ich nachgedacht.« Edgar taute jetzt immer mehr auf. »Man könnte … Heh, gib wieder Gas! Wechsel in die linke Spur, die ist frei … Also, ich habe auch über diese Frage nachgedacht. Die ideale Gesellschaft müsste meiner Ansicht ähnlich wie die mittelalterliche aufgebaut sein. Die Menschen würden ein einfaches, gesundes und unverfälschtes Leben leben, auf dem Feld arbeiten, Handwerk betreiben und sich mit Kunst befassen. Zentralregierungen wären nicht nötig, das feudale System, Barone und das Wahlkönigtum reichten völlig aus. Wir, die Anderen, lebten teilweise isoliert, teilweise inmitten der Menschen. Niemand brauchte sich zu verstecken! Alle würden von uns wissen. Gewiss, die Menschen könnten Magiern oder Vampiren den Kampf ansagen! Ja und? So kämen die Mechanismen einer natürlichen Auslese zum Tragen, die schwachen und unnötig grausamen Anderen würden aussortiert. Diese Welt wäre weitaus reizvoller als die heutige – und zwar sowohl für Andere als auch für Menschen. Hast du niemals Fantasy gelesen?«
»Wie bitte?«
»Hast du diese Bücher gelesen? Der Herr der Ringe, Conan, Der Magier der Erdsee, Harry Potter und wie sie alle heißen?«
»Einiges habe ich schon gelesen«, gab ich zu. »Manches … war naiv, manches interessant. Als Unterhaltungsliteratur taugt das sogar für uns was.«
»Menschen mögen Fantasy viel lieber als Science Fiction«, behauptete Edgar voller Überzeugung. »Und das ist paradox: Die Menschen wollen nichts über die Eroberung des Mars oder Flüge zu den Sternen lesen, also nichts über etwas, das sie tatsächlich vollbringen, wir aber nie schaffen werden. Dafür träumen sie davon, Magier zu werden, sich mit großen spitzen Schwertern ins Gefecht zu stürzen … Wenn nur einer von ihnen wüsste, wie die Wunde von einem echten Schwert aussieht … Was sagt uns das? Dass die mittelalterliche Welt, in der es noch Magie gab, für die Menschen entschieden attraktiver ist!«
»Kann ich mir denken«, erwiderte ich. »Logisch. Weil niemand über das Vergnügen nachdenkt, seine Bedürfnisse in einer Latrine bei zwanzig Grad Frost zu verrichten, oder an den Duft, den diese Grube bei vierzig Grad Hitze verbreitet. Weil die Romanhelden nie an Schnupfen, Verdauungsstörungen, Blinddarmentzündungen oder Malaria leiden. Und wenn sie doch einmal erkranken, ist stets ein Lichter Heiler in der Nähe. Weil sich alle auf dem Königsthron, im Umhang eines mächtigen Magiers oder mindestens im Gefolge eines lustigen und kühnen Barons sehen. Aber niemals auf einem vertrockneten Feld, mit einer hölzernen Hacke in der Hand, wie sie diesem Gefolge hinterherblicken, das gerade eben ihre kärgliche Ernte niedergetrampelt hat, die ohnehin zur Hälfte dem lustigen und kühnen Baron gehört.«
»Freilich, das darf man nicht außer Acht lassen«, lenkte Edgar friedfertig ein. »Alles hat seine Vor- und Nachteile. Dafür gibt es keine Reklame, keine Politiker und Anwälte, keine genmanipulierten Lebensmittel …«
»Mit den Lebensmitteln wird es ohnehin schlecht bestellt sein«, gab ich zu bedenken.
»… keine Kinder, die aufgrund der Umweltverschmutzung als Missgeburten zur Welt kommen …«
»Du solltest schnellstens Greenpeace beitreten. Dafür wird es von Kindern wimmeln, die im Mutterleib verhext wurden. Außerdem wird es jede Menge ganz gewöhnlicher Kinder geben, die aufgrund einer Fehllage und wegen mangelnder Medikamente bei der Geburt sterben. Was habt ihr vor, Edgar? Wollt ihr die Welt ins Mittelalter zurückwerfen?«
»Nicht doch, Anton«, meinte Edgar seufzend. »Dieser Ausgang dürfte kaum wahrscheinlich sein. Ich will dir nicht verhehlen, dass ich genau darauf hoffe. Aber die Chancen stehen schlecht.«
»Ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, das Steuer herumzureißen und gegen eine Säule zu rasen«, gestand ich. »Siehst du da die Fußgängerbrücke, die über die Autobahn führt? Ihre Betonpfeiler sind äußerst verlockend …«
»Uns könnte das nichts anhaben«, erwiderte Edgar. »Dir auch nicht, nehme ich an. Du hast einen guten Wagen, mit Airbag, Gurten … Wir hätten Chancen, das zu überleben. Also sei nicht so dumm. Wenn du deinem Leben unbedingt ein Ende setzen willst, dann brauchst du nur ein bisschen zu zaubern.«
»Was hast du in den Archiven ausgegraben? Worauf hoffst du?«
»Sag es ihm nicht«, warf Gennadi grimmig ein. Seine Worte schienen jedoch das genaue Gegenteil zu bewirken. Letztendlich steckte in Edgar doch der Dunkle, der angewidert auf
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