4 - Wächter der Ewigkeit
Gäste hier hatten einen etwas zu exotischen Geschmack …
»Anton«, stellte ich mich vor, während ich den Besitzer des Hotels betrachtete. »Anton Gorodezki aus Moskau. Nachtwache.«
»Bruce«, erwiderte der Jüngling. »Bruce Ramsay, Edinburgh. Besitzer dieser Einrichtung.«
Er sah aus, als könnte er ohne weiteres den Dorian Gray in einer Verfilmung von Wildes Roman spielen. Ein junger, graziöser und unerhört frischer Schönling, dem man das Schild »Zu jeder Schandtat bereit!« umhängen sollte.
Nur seine Augen waren alt. Grau, farblos, mit dem gleichmäßig rosa eingefärbten Weiß eines zweihundert Jahre alten Vampirs.
Der junge Mann nahm meinen Koffer – wogegen ich nicht das Geringste einzuwenden hatte – und stieg eine schmale Holztreppe hoch. »Leider haben wir keinen Fahrstuhl«, meinte er im Gehen. »Das Haus ist alt und zu klein, um hier einen Schacht einzubauen. Außerdem bin ich an Fahrstühle nicht gewöhnt. Ich glaube, so ein mechanisches Scheusal würde dieses wundervolle Haus verschandeln. Ich hasse diese modernisierten Häuser, die alte Fassaden haben, hinter denen sich öde Standardwohnungen verbergen. Zugegeben, wir haben auch selten Gäste, denen das Treppensteigen schwerfällt … Tiermenschen machen die steilen Stufen vielleicht etwas aus, deshalb sind wir stets darauf bedacht, sie im Parterre unterzubringen, dort gibt es ein spezielles Zimmer, oder im ersten Stock … Was hat Sie eigentlich in unsere ruhige Stadt verschlagen, Hoher Lichter?«
Er selbst war auch nicht gerade ohne. Ein Vampir, der über Kraft ersten Grades verfügte, wenn diese auch nicht hundertprozentig magisch – nicht so wie bei mir-, sondern vampirisch war. Trotzdem konnte man ihn durchaus als Anderen ersten Grades bezeichnen.
»Der Vorfall in den Verliesen«, teilte ich ihm mit.
»Das habe ich mir gedacht.« Schwungvoll zwei Stufen auf einmal nehmend, ging der Jüngling voran. »Ein höchst unangenehmer Vorfall. Situationskomik schätze ich normalerweise, ohne Frage … Aber das ist nicht lustig. Die Zeiten sind vorbei, in denen man einfach auf einen netten Menschen zugehen und ihn bis auf den letzten Tropfen leer trinken konnte. Sie sind längst vorbei!«
»Sehnen Sie sich nach der Vergangenheit zurück?«, platzte ich heraus.
»Manchmal«, antwortete der junge Mann. Dann lachte er. »Aber jedes Alter und jede Zeit hat ihre Vorteile, oder etwa nicht? Die Menschen werden zivilisierter, sie hören auf, Hexen zu jagen und an Vampire zu glauben. Und so werden auch wir zivilisierter. Man darf Menschen nicht einfach behandeln, als wären sie rechtloses Vieh. Die Menschen haben es verdient, dass wir sie respektieren, und sei es nur als unsere Vorfahren. Und seine Vorfahren sollte man doch achten, oder?«
Bedauerlicherweise konnte ich dem nicht widersprechen.
»Das Zimmer ist sehr schön, es wird Ihnen gefallen«, fuhr der Vampir fort, als er den dritten Stock erreichte. Hier gab es nur zwei Türen. Die Treppe führte noch weiter hinauf, zu einer Mansarde. »Rechts ist die Luxussuite für Dunkle, die auch äußerst exquisit ist, denn ich habe sie nach meinem eigenen Geschmack eingerichtet und bin sehr stolz auf das Design. Und hier ist Ihr Zimmer.«
Einen Schlüssel brauchte er nicht. Er klopfte einfach sanft mit der Hand auf das Schloss, und die Tür öffnete sich. Eine alberne, ja, für so einen alten Vampir sogar merkwürdige Angeberei.
»Wir haben einen sehr guten Innenarchitekten an der Hand, einen Lichten Autodidakten. Er verfügt nur über den sechsten Grad, doch für diese Arbeit ist ja keine Magie vonnöten«, fuhr Bruce fort. »Auf meine Bitte hin hat er drei Zimmer nach dem Gusto der Lichten eingerichtet. Sonst ist die Einrichtung natürlich etwas origineller, wie Sie sich denken können …«
Ich betrat das Zimmer. Und blieb zur Salzsäule erstarrt stehen.
Niemals hätte ich geglaubt, so einen Geschmack zu haben.
Um mich herum strahlte alles in Weiß, Beige und Rosa. Das Parkett war aus hellem, ausgeblichenem Holz, die Wände mit beigefarbener Tapete tapeziert, auf der hellrosa Blumen prangten. Altmodische Möbel, aber ebenfalls aus hellem Holz, und schneeweißer Atlas. An der Wand stand ein großes Ledersofa. In welcher Farbe? Weiß natürlich. An der Decke hing ein Kristalllüster. Vor den Fenstern durchscheinender Tüll und Übergardinen aus zartrosafarbenem Stoff.
Wie musste hier am Morgen die Sonne brennen …
Eine Tür führte in ein kleines Schlafzimmer. Ein gemütlicher Raum mit
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