4 - Wächter der Ewigkeit
mich. Sicher, mich hätte vermutlich jede alte Stadt beeindruckt, in der nicht vor sechzig Jahren die Feuerwalze des Zweiten Weltkriegs durchgedonnert war, um alte Kirchen, Schlösser, Häuser und Häuschen in Schutt und Asche zu legen. Trotzdem gab es hier etwas Besonderes. Vielleicht lag es an der Burg selbst, die sich so anmutig auf dem Berg erhob und die Stadt gleich einer steinernen Krone schmückte. Vielleicht lag es an den vielen Touristen in den Straßen, die, mit Kameras behängt, in Urlaubsstimmung dahinschlenderten und sich Schaufenster und Denkmäler anguckten. Es ist ja immer das Gefolge, das den König macht. Und sei es das Spitzengewebe der Straßen mit den altertümlichen Häusern und dem Kopfsteinpflaster, welches zwanglos die Burg säumte.
Selbst mit der prachtvollsten Krone auf dem Kopf kommt ein König nicht ohne würdevolles Kleid aus. Den nackten König aus dem Märchen von Andersen konnten seine auf dem Kopf funkelnden Brillanten schließlich auch nicht retten.
Das Taxi hielt an einem dreistöckigen Steinhaus, dessen schmale Fassade von zwei Geschäften eingezwängt wurde, die von Besuchern barsten. In den Schaufenstern hingen Kilts und Schals in unterschiedlichen Farben, standen die obligatorischen Whiskyflaschen. Was sollte man auch sonst von hier mitbringen? Aus Russland gibt’s Wodka und Matrjoschkas, aus Griechenland Ouzo und bestickte Tischdecken – und aus Schottland Whisky und Schals.
Ich stieg aus dem Taxi, bekam vom Fahrer meinen Koffer und bezahlte. Dann sah ich mir das Gebäude an. Über dem Eingang prangte ein Schild: »Highlander Blood«.
O ja. Ein dreister Vampir.
Im grellen Sonnenlicht blinzelnd ging ich zur Tür. Allmählich wurde es heiß. Die Legende, Vampire vertrügen das Sonnenlicht nicht, war nicht mehr und nicht weniger als das: eine Legende. Dabei war ihnen Sonne einfach nur unangenehm. Und an solchen heißen Sommertagen kann ich sie sogar verstehen.
Die Tür öffnete sich nicht eilfertig vor mir, mit irgendeiner Automatik hatte man sich im Hotel offenbar noch nicht angefreundet. Deshalb stieß ich sie mit der Hand auf und trat ein.
Immerhin schien es eine Klimaanlage zu geben. Denn diese kühle Frische dürfte sich trotz der dicken Steinwände kaum von der Nacht gehalten haben.
Das kleine Vestibül lag im Halbdunkel und wirkte vielleicht gerade deshalb so gemütlich. Hinter dem Rezeptionstresen erblickte ich einen nicht mehr jungen, höchst respektablen
Herrn. Gepflegter Anzug, Krawatte mit Nadel, das Hemd mit silbernen Manschettenknöpfen, die als Distel gearbeitet waren. Ein volles Gesicht, Schnauzbart, rotwangig, kurzum das blühende Leben. Seine Aura ließ zudem keinen Zweifel: ein Mensch.
»Guten Tag.« Ich trat an die Rezeption heran. »Ihr Hotel wurde mir empfohlen … Ich würde gern ein Einzelzimmer haben.«
»Für einen Menschen?«, fragte der Herr mit dem freundlichsten Lächeln.
»Ja, für eine Person«, antwortete ich.
»Mit Zimmern sieht es momentan sehr schlecht aus, das Festival …« Der Herr seufzte. »Vorbestellt hatten Sie doch nicht?«
»Nein.«
Abermals seufzte er bekümmert auf, dann fing er an, irgendwelche Papiere durchzublättern – als gäbe es in diesem kleinen Familienhotel derart viele Zimmer, dass er sich nicht mehr erinnern konnte, ob noch eins frei war. »Und wer hat Sie uns empfohlen?«, fragte er, ohne den Blick zu heben.
»Der Dunkle vom Zoll in Heathrow«
»Ich denke schon, dass wir Ihnen weiterhelfen können«, meinte der Mann ohne jede Verwunderung. »Was für ein Zimmer hätten Sie denn gern? Ein lichtes oder ein dunkles? Falls Sie … ähäm … einen Hund dabeihaben, hätten wir ein sehr komfortables Zimmer, das selbst der größte Hund selbstständig verlassen … und in das er wieder zurückkommen kann … ohne jemanden zu stören.«
»Ich brauche ein lichtes Zimmer«, sagte ich.
»Gib ihm die Luxussuite im dritten, Andrew«, erklang es da hinter mir. »Das ist ein hoher Gast. Ein sehr hoher.«
Nachdem ich von dem Mann am Empfang den gleichsam herbeigezauberten – wobei natürlich keinerlei Zauberei im
Spiel war, der Mann hatte einfach geschickte Hände – Schlüssel entgegengenommen hatte, drehte ich mich um.
»Ich bringe Sie persönlich hinauf«, meinte ein blondhaariger junger Mann, der neben dem Zigarettenautomaten an der Tür stand, die zu dem kleinen Restaurant des Hotels führte. Häufig verzichtet man in solchen Hotels ja auf ein Restaurant und bringt das Frühstück aufs Zimmer, doch die
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