4 - Wächter der Ewigkeit
eine Frau?«
»Vielleicht auch um einen Mann. Wenn er schwul ist. Das muss zwar nicht unbedingt sein …« Bruce senkte peinlich berührt den Blick. »Aber es ist immer irgendwie angenehmer … physiologisch irgendwie natürlicher …«
»Und eine zweite Variante?«, fragte ich, nachdem ich mit Mühe jeglichen Kommentar heruntergeschluckt hatte.
»Ein Auswärtiger. Irgendein Tourist. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist alles aus den Fugen geraten, jeder reist jetzt hierhin und dorthin …« Missbilligend schüttelte er den Kopf. »Gewisse verantwortungslose Personen nutzen das aus.«
»Ich will Ihre Wachen nicht behelligen, Bruce«, meinte ich. »Sonst glaubte man womöglich noch, die Moskauer Kollegen würden an ihrer Professionalität zweifeln. Vielleicht könnten Sie mir sagen, wer hier in der Stadt der wichtigste Vampir ist. Der Dienstälteste, Höchste … Welchen Titel gebrauchen Sie für ihn?«
»Ich gebrauche für ihn gar keinen.« Bruce lächelte breit. Dann klapperte er kurz und demonstrativ mit seinen Hauern, indem er aus dem Oberkiefer erst zwei lange spitze Eckzähne herauswachsen ließ, die er dann wieder zurückzog. »Aber mich spricht man mit Meister an. Das Wort gefällt mir nicht unbedingt, da es aus dummen Büchern und Filmen entliehen ist. Doch wenn es ihnen gefällt, sollen sie mich eben so nennen.«
»Für einen Meister sind Sie aber doch noch recht jung«, bemerkte ich erstaunt. »Nur zweihundert Jahre.«
»Zweihundertachtundzwanzig Jahre, drei Monate und elf Tage«, stellte Bruce richtig. »Ja, ich bin noch jung. Aber das hier ist Schottland. Sie müssen sich vergegenwärtigen, wie misstrauisch, stur und ihrem Aberglauben verhaftet dieses Volk von Highlandern ist! In meiner Jugend hat es nicht ein Jahr gegeben, in dem sie nicht einem von uns einen Pflock aus Espenholz ins Herz geschlagen hätten.«
Vielleicht täuschte ich mich ja, aber in Bruce’ Stimme schwang offener Stolz auf seine Landsleute mit.
»Werden Sie mir helfen, Meister?«, fragte ich.
»Nein.« Bruce schüttelte den Kopf. »Selbstverständlich nicht! Wenn wir herausfinden, wer diesen Russen umgebracht hat, werden wir ihn bestrafen. Allein. Nicht tödlich, aber hart. Den Wachen wird indes niemand ausgeliefert.«
Selbstverständlich nicht. Was hatte ich denn erwartet?
»Ich brauche wohl nicht zu fragen: Haben Sie ihn nicht schon zufällig gefunden und bestraft?«, setzte ich noch einmal an.
»Brauchen Sie nicht«, antwortete Bruce seufzend.
»Dann muss ich mich also selbst dranmachen, den Verbrecher zu suchen?«, meinte ich in bewusst jämmerlichem Ton. »Oder soll ich einfach in Ihrer wunderschönen Stadt ein paar nette Urlaubstage verbringen?«
»Als Dunkler kann ich Ihnen natürlich nur eine einzige Antwort geben.« In Bruce’ Stimme klang jetzt Ironie an. »Machen Sie Urlaub. Entspannen Sie sich, schauen Sie sich die Museen an, gehen Sie spazieren. Wer interessiert sich schon für einen toten Studenten?«
In dem Moment spürte ich, dass ich mich nicht länger zusammenreißen wollte. Ich sah Bruce in die Augen. In die dunklen Löcher der Pupillen, in denen es fröhlich purpurrot loderte.
»Und wenn ich dich kleinkriege, du toter Blutsauger?«, fragte ich. »Kleinkriege, ausweide und dazu bringe, auf all meine Fragen zu antworten?«
»Nur zu«, erwiderte Bruce mit sanfter, fast zärtlicher Stimme. »Versuch’s nur, Hoher. Glaubst du etwa, du seist uns unbekannt? Glaubst du etwa, wir wussten nicht, woher deine Kraft kommt?«
Auge in Auge.
Pupille in Pupille.
Ein schwarzer pulsierender Tunnel, der mich ins Nichts zog. Ein roter Funkenwirbel eines fremden, gestohlenen Lebens. Ein verführerisches Flüstern in den Ohren. Die ätherische, erhabene, überirdische Schönheit im Gesicht dieses vampirischen Jünglings.
Vor ihm auf die Knie fallen …
In Begeisterung und Bewunderung losweinen: welche Schönheit, Weisheit, welch Wille …
Um Verzeihung bitten …
Er war sehr stark. Immerhin verfügte er über zweihundertjährige Erfahrung, multipliziert mit der vampirischen Kraft ersten Grades.
Und diese Kraft bekam ich in vollem Umfang zu spüren. Ich stand auf starren, fremden Beinen. Machte einen unsicheren Schritt.
Bruce lächelte.
Genau wie vor acht Jahren die Vampire in dem Moskauer Tordurchgang gelächelt hatten, in dem ich dem hilflosen, dem Ruf ausgelieferten Jegor nachjagte …
Ich legte so viel Kraft in meine mentale Attacke, dass, wenn man daraus einen Fireball formen würde, eine Feuerkugel
Weitere Kostenlose Bücher