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4 - Wächter der Ewigkeit

4 - Wächter der Ewigkeit

Titel: 4 - Wächter der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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aus der mit surrenden Kameras und klickernden Fotoapparaten bewaffneten Menge heraus. Neben mir wandte sich eine Frau in klarem Russisch an ihren Begleiter: »Wie ekelhaft … Was meinst du, ob die immer so fluchen?«
    Eine interessante Frage. Immer? Oder nur im Ausland? Alle? Oder nur wir Russen? In der naiven und merkwürdigen Annahme, außerhalb Russlands verstünde niemand unsere Sprache?
    Lieber bildete ich mir jedoch ein, alle Straßenkünstler würden sich so ausdrücken.
    Autobusse.
    Touristen.
    Pubs.
    Geschäfte.
    Durch den Park irrte ein Pantomime, der nicht vorhandene Mauern betastete – ein trauriger Mensch in einem unsichtbaren Labyrinth.
    Ein unerschütterlicher Schwarzer im Kilt spielte Saxofon.
    Ich wusste schon, warum ich nicht gleich in die Verliese eilte. Erst musste ich noch diese Stadt in mich einsaugen. Sie spüren, mit meiner Haut, meinem Körper. Mit dem Blut in meinen Adern.
    Ein Weilchen wollte ich noch durch die Menge streifen. Danach würde ich mir eine Eintrittskarte für das Gruselkabinett kaufen. Die Einrichtung war außer Betrieb. Zwischen den steinernen Brückenpfeilern prangte noch das riesige Werbeplakat. Die als »Zugang ins alte Verlies« gestaltete Flügeltür stand offen, doch in Brusthöhe versperrte ein Seil den Durchgang. An ihm hing eine Tafel, die freundlich darüber Auskunft gab, dass die Einrichtung aus technischen Gründen geschlossen bleibe.
    Ehrlich gesagt, erstaunte mich das. Viktor war vor fünf Tagen gestorben. Ausreichend Zeit für jede Art polizeilicher Ermittlung. Die Nachtwache Edinburghs hätte sich ohnehin alles ansehen können, was sie für nötig erachtete, ohne die Menschen auch nur davon in Kenntnis zu setzen.
    Und trotzdem: Geschlossen …
    Mit einem Schulterzucken hob ich das Seil an, tauchte darunter hinweg und ging die schmale dunkle Treppe hinunter. Das Metallgitter der Stufen hallte unter meinen Füßen. Nach ein paar Treppenabsätzen erspähte ich erst die Toiletten, dann den schmalen Gang mit den geschlossenen Kassen. Hier und da brannten Lampen, doch vermutlich nicht die, die normalerweise die finstere Atmosphäre für die Besucher schufen. Sondern ganz gewöhnliche, trübe energiesparende Lampen.
    »Ist hier irgendwo ein Mensch?«, rief ich in Englisch und staunte über die Doppeldeutigkeit der Worte. »He … ist hier ein … Anderer?«
    Stille.
    Ich lief durch einige Räume. Die Wände zierten Porträts von Menschen mit scheußlichen Fratzen, an denen Lombroso seine aufrichtige Freude gehabt hätte. Gerahmte Texte berichteten über Verbrecher, Wahnsinnige, Kannibalen und Schwarzkünstler. In Vitrinen fanden sich grob gearbeitete Modelle von abgehauenen Armen und Beinen, Phiolen mit dunklen Flüssigkeiten und Folterinstrumente. Aus Neugier sah ich sie mir durchs Zwielicht an. Nepp: Mit den Dingern war niemand gefoltert worden, sie ließen nicht die geringsten Spuren von Leid erkennen.
    Ich gähnte.
    Über mir waren Fäden gespannt, die ein Spinnennetz imitierten. An ihnen baumelten Lumpen. Noch weiter oben konnte ich eine Metalldecke mit unromantischen, untertassengroßen Nieten ausmachen. Früher musste diese Sehenswürdigkeit als höchst profaner, technischer Raum genutzt worden sein.
    Etwas beunruhigte mich …
    »Ist hier jemand? Lebendig oder tot, antworten Sie!«, rief ich erneut. Eine Antwort bekam ich auch diesmal nicht. Und trotzdem … Was machte mich nur so nervös? Da war doch eben … eine Unstimmigkeit … etwas, das ich im Zwielicht gesehen hatte …
    Noch einmal spähte ich mit meinem Zwielicht-Blick durch die Räume.
    Ha! Da war es, das Detail, das nicht passte!
    Um mich herum wuchs kein blaues Moos, fehlte dieser harmlose, aber unangenehme Parasit. Er gedieh in der ersten Zwielicht-Schicht, stellte dort den einzigen permanenten Bewohner der grauen Kehrseite des Universums dar. Hier, wo die Menschen ständig eine wenn auch gespielte, karnevaleske Furcht empfanden, hätte das blaue Moos nur so wuchern müssen. Hätte es wie bizarre Stalaktiten von der Decke hängen müssen, hätte den Fußboden mit einem ekelhaften wabernden Teppich auslegen, hätte die Wände hochklettern müssen.
    Aber nirgends gab es Moos.
    Ob jemand die Einrichtung regelmäßig säuberte? Das Moos ausbrannte, wenn es ein Lichter, oder einfror, wenn es ein Dunkler war?
    Hm, wenn es unter den Mitarbeitern einen Anderen gäbe, käme mir das sehr gelegen.
    Wie als Antwort auf meine Überlegungen vernahm ich Schritte. Eilige, als habe jemand meine Schreie gehört

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