4 - Wächter der Ewigkeit
wurdest?«, fragte Lass munter. »Wie du zum Appell angetreten bist und daran gedacht hast, dich mit ganzer Kraft für den Sieg des Kommunismus einzusetzen? Und deine Gruppenleiterin hat dir das Tuch umgebunden und dich dabei beinahe mit ihren strammen Titten berührt …«
»Lass«, stieß Boris Ignatjewitsch mit eisiger Stimme aus. »Ich kann mich nicht genug darüber verwundern, wie du zu einem Lichten werden konntest.«
»An dem Tag hatte ich gute Laune«, räumte Lass ein. »Ich habe geträumt, ich sei ein kleiner Junge und reite auf einem Pony …«
»Lass!«, wiederholte Boris Ignatjewitsch.
Der Diensthabende verstummte.
In der eintretenden Stille war nur das Schluchzen des Brandschutzinspektors zu hören. »Ich … ich werde alles sagen … An die BAM bin ich gefahren, um mich vor den Alimenten zu drücken …«
»Die BAM interessiert mich nicht«, sagte Boris Ignatjewitsch in sanftem Ton. »Erzähl mir, wer dich gebeten hat, in unserem Büro Wanzen einzubauen.«
Eins
»Ihr könnt euch sicherlich denken, warum ich euch zusammengerufen habe«, meinte Geser.
Wir hatten uns zu fünft im Büro des Chefs eingefunden. Geser selbst, Olga, Ilja, Semjon und ich.
»Was gibt es da groß rumzuraten«, brummte Semjon. »Sie haben alle Hohen und Anderen ersten Grades versammelt. Nur Swetlana fehlt.«
»Swetlana fehlt, weil sie der Nachtwache nicht angehört.« Geser verzog das Gesicht. »Aber ich bezweifle nicht, dass Anton ihr alles erzählen wird. Und ich habe nicht die Absicht, ihm das zu verbieten. Eine Verletzung der Regeln werde ich ansonsten jedoch nicht dulden … Dies ist ein Treffen der Leitung der Nachtwache. Ich möchte Ilja gleich sagen … dass er von gewissen Informationen Kenntnis erlangen wird, von denen er unter normalen Umständen nichts erfahren hätte. Also erzähl sie nicht weiter. Niemandem.«
»Und was genau nicht?«, wollte Ilja wissen, wobei er seine Brille zurechtrückte.
»Vermutlich … vermutlich alles, was ich sagen werde.«
»Interessant, was Sie unter gewissen Informationen verstehen«, meinte Ilja nickend. »Wie Sie meinen. Wenn Sie es wünschen, bin ich bereit, mir das Zeichen des Straffeuers einbrennen zu lassen.«
»Auf Formalitäten können wir verzichten.« Geser holte ein Metallkästchen aus seinem Schreibtisch und fing an, darin herumzukramen. Unterdessen sah ich mich mit gewohnter Neugier um. Das Büro des Chefs wartete mit einer Unzahl von Kleinigkeiten auf, die er entweder für die Arbeit brauchte oder bei denen es sich schlicht um Erinnerungsstücke handelte. Als horte der Geizhals Pljuschkin aus den Toten Seelen seine Sachen, hüte ein Kind eine Kiste mit heiß ersehnten »Schätzen« oder als betrete man die Wohnung eines zerstreuten Sammlers, der ständig vergisst, was genau er eigentlich sammelt. Erstaunlich war zudem, dass anscheinend nie etwas verschwand, es in den Schränken kaum noch ein freies Plätzchen gab und dennoch in einem fort neue Exponate hinzukamen.
Jetzt blieb mein Blick an einem kleineren Terrarium hängen. Aus irgendeinem Grund hatte es keine Abdeckung, während auf das Glas ein Stück Papier mit den Buchstaben »OOO« oder den Ziffern »ooo« geklebt war. Das Terrarium beherbergte ein albernes, in China hergestelltes Spielzeug: ein kleines Plastikklo, auf dem in herrschaftlicher Pose eine Tarantel thronte. Zunächst glaubte ich, die Spinne sei ebenfalls aus Plastik oder aber krepiert, dann bemerkte ich jedoch, wie die Äuglein des Tiers funkelten und die Kiefer mahlten. Über das Glas kroch eine zweite Spinne, ein dickes, rundes Tier, das an eine zottelige Kugel auf Beinen erinnerte. Von Zeit zu Zeit hielt die Spinne inne, um einen Tropfen grünen Gifts gegen das Glas zu spucken – wobei sie ganz eindeutig etwas außerhalb des Terrariums anvisierte. Am Boden des Behältnisses hatte die Spinne ebenfalls ihre Spuren hinterlassen. Hier wuselten zudem weitere Insekten herum, die gierig ihre Fühler nach der Nahrung ausstreckten. Die Glückspilze, die etwas abbekamen, fingen fröhlich an zu hüpfen.
»Interessant, nicht wahr?«, fragte Geser, ohne den Blick zu heben.
»Hm … Was ist das?«
»Ein Simulakrum. Wie du weißt, studiere ich mit Vorliebe geschlossene soziale Gruppen.«
»Und was bildet das Simulakrum nach?«
»Ein faszinierendes Sozium«, wich Geser aus. »Das Grundmodell liegt natürlich mit der traditionellen Spinne im Glas vor. Hier haben wir es allerdings mit zwei Spinnen zu tun, von denen eine, da sie rechtzeitig irgendwo
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