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40 - Im fernen Westen

40 - Im fernen Westen

Titel: 40 - Im fernen Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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sich zu nehmen.
    „Bitte, fahrt weiter, Sir“, mahnte der eine von ihnen. „Euer Kutscher hat sich erhoben und wird wohl, das zerrissene Gesicht abgerechnet, keinen Schaden genommen haben. Der Unvorsichtige mußte wissen, daß nach den Gesetzen der Indianer ein Schlag nur mit dem Tod gesühnt werden kann.“
    Nach Art und Weise der Amerikaner, welche sich nie in die Händel anderer mischen und ihr Interesse an einem Streit nur dadurch bestätigen, daß sie Raum zum Ausfechten desselben geben, hatten die Umstehenden einen Kreis um den Wagen gebildet, um zu sehen, wie die interessante Begebenheit enden werde; als jedoch in diesem Augenblick die schrille Pfeife des herandampfenden Steambootes ertönte und der wieder aufgestiegene Kutscher auf den drängenden Zuruf seines Herrn das Gespann in der Richtung nach der Landungsbrücke leitete, löste sich der Kreis schnell auf, und ein jeder beeilte sich, auf dem Boot einen guten Platz zu erobern.
    Es war nicht der gewöhnliche und äußerst komfortabel eingerichtete Passagierdampfer, sondern eines jener riesigen Paketschiffe, welche man zur Personenbeförderung nur ausnahmsweise und meist dann benutzt, wenn bei Beginn der Fieberzeit der Andrang der Reisenden ein schwer zu bewältigender ist. Deshalb entbehrte das Fahrzeug aller jener Bequemlichkeiten, mit denen sich der Yankee das Reisen weniger beschwerlich macht, und die Passagiere mußten Platz nehmen, wo und wie sie ihn fanden.
    Ich erstieg, nachdem sich mein Neger verabschiedet hatte, einen Haufen Warenballen, welcher eine Reihe viereckiger Kästen flankierte, die sich fast über das ganze Deck hinzog. Da oben hatte ich nun eine freiere Aussicht als unten; auch strich mir die Luft bemerklicher um die Stirn, und rechnete ich dazu die Ungeniertheit, mit welcher ich mich hier ausstrecken konnte, so war mein Platz ein ganz prächtiger.
    Umschau haltend, gewahrte ich, daß sowohl der Besitzer der Equipage mit seiner Dame als auch der Indianer anwesend waren. Ersterer gehörte jedenfalls den höchsten Ständen an und benutzte das Paketboot nur, um so rasch wie möglich dem gefährlichen Boden zu entkommen, und letzterer hatte vielleicht seinen Vorrat von Häuten in der Stadt verkauft und ging in die Prärie zurück, um seinen Stamm zu neuen Jagden und Abenteuern zu führen. Auch ihm mochte es da unten im Gedränge zu unbehaglich und schwül werden; er kletterte empor und nahm, um mir meinen Sitz nicht streitig zu machen, auf dem ersten der Kästen Platz, von denen ich vorhin sprach.
    Kaum aber hatte er sich niedergesetzt, als ein Laut die Luft erschütterte, so tief, so grollend, so dröhnend und erschütternd, daß sämtliche Passagiere emporsprangen und sich entsetzt nach der Ursache dieses fürchterlichen Brüllens umschauten. Nur Inn-nu-woh war ruhig sitzen geblieben, obgleich die Töne gerade unter seinem Sitz erklungen waren. Kein Zug seines braunen, unbeweglichen Gesichts verriet eine auch nur leise Spur von Überraschung oder gar Bestürzung, und die erschrockenen Leute auf dem Deck schien er keines auch nur halben Blickes für wert zu halten.
    Da öffnete sich eine Luke, aus welcher ein Mann stieg, bei dessen Anblick mir jenes Brüllen sofort erklärlich wurde. Ich hatte ihn in Boston, in New York und später auch in Charlestown gesehen und mit ihm so ziemlich innige Bekanntschaft geschlossen. Es war Forster, der berühmte Tierbändiger, welcher damals mit seiner Menagerie die bedeutenderen Städte der Vereinigten Staaten besuchte und überall, wohin er kam, durch die Macht, welche er über die wildesten Bestien übte, das bedeutendste Aussehen erregte.
    Die Kästen gehörten ihm, enthielten die Käfige seiner zoologischen Untergebenen. Der Indianer hatte auf dem Sommerlogis des Löwen Platz genommen, denselben durch das dabei verursachte Geräusch aus der Siesta aufgeschreckt und zu jenem zornigen Brüllen veranlaßt, welches Forster gehört hatte, und worauf er nun natürlich herbeigeeilt kam, um sich über den Grund desselben aufzuklären.
    In dem vorsichtigen Europa würde man sich allerdings sehr hüten, einer kompletten Menagerie Platz auf einem Boot zu gewähren, welches die Bestimmung hat, Reisende zu befördern. Der Amerikaner aber ist selbst in solchen Dingen weniger diffizil. In dem Land, welches er bewohnt, hat die Gefahr ihre Heimat; man ist vertraut mit ihr, man kennt ihre verschiedenen Gestalten, man achtet sie, aber man fürchtet sie nicht, und da man gewohnt ist, den vierfüßigen Bewohnern der

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