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40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte

40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte

Titel: 40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timm Kruse
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Fantasien, Einbildungen existieren nur in meinem Kopf. Hier werden sie am Leben gehalten und führen zu Leid. Für kurze Zeit war mir dieses verrückte System bewusst, und ich erlebte einen Moment vollkommener Klarheit. Wie alles andere verging aber auch dieser wieder.
    Jene alte Freundin also von mir, die ich auf dem Clarity-Seminar kennengelernt hatte, schwört, dass wir uns aus einem früheren Leben kennen. Auch wenn ich an frühere Leben nicht so recht glauben will – ich habe in diesem Leben schon genug Stress –, spüre ich eine starke Verbindung zu ihr. Für viele ist es natürlich merkwürdig, dass ich eine gute Freundin habe, die 40 Jahre älter ist als ich.
    Sie fastet im Geiste mit und schickt mir per Brief und Gedanken Kraft und Durchhaltevermögen. Beim Lesen ihrer Zeilen kommt plötzlich ein merkwürdiges Gefühl bei mir auf: Meine Hände sind nicht mehr meine Hände. Als würde etwas Fremdes den Brief halten. Dann weiß ich auch nicht mehr, wer da eigentlich liest. Wer guckt? Wer hält? Wer ist? Jetzt beim Schreiben komme ich langsam hinter den Sinn der uralten philosophischen Frage: Wer bin ich? Wer steckt also hinter dem, der erlebt, erfährt, macht und tut? Wer erfährt das Leben? Das ist doch derselbe, der es schon mit zehn oder 20 erfahren hat. Der Erfahrende verändert sich nicht. Er ist immer der, der das Leben erfährt. Ohne Wertung, ohne Beurteilung. Alles andere ist Kopfkino, wie schon gesagt.
    Immerhin nähere ich mich dem, was mich bewegt. Von der Antwort auf das »Wer bin ich« bin ich allerdings noch Meilen entfernt. Ich bin. Ohne Antwort, mehr ist gerade nicht drin. Aber ich habe ja noch 31 Tage!
    Seit zwei Tagen leide ich an einer Art Harnstottern, pinkle wie ein alter Mann in Strahlschüben. Allerdings nur beim Urinieren im Sitzen. Im Stehen läuft’s zum Glück noch wie aus einem Gartenschlauch. Aber was ist beim Sitzpinkeln los? Wächst die Prostata beim Fasten und drückt auf die Harnröhre? Oder übten sonst die überfüllten Eingeweide Druck auf die Blase aus, sodass diese besser abfließen konnte?
    In meinen Fastenbüchern findet sich nichts darüber. Im Internet auch nicht. Aber wieso fasten eigentlich fast immer nur Menschen, die an Saturnenergie, Fernheilung oder Schuld, Sühne und Sünde glauben?
    Heute fühle ich mich sauber, rein. Noch nicht einmal schmutzige Gedanken habe ich.

Zehnter Tag, 10. September
Es begann am 13. Februar, jenem Tag, an dem der Deutsche Jolly in Berlin auftrat, wo er einen neuen Hungerweltrekord von 44 Tagen aufzustellen gedachte. Die erfolgreiche Beendigung seines Vorhabens wurde zur ungeheuren Sensation, bei der eine Hysterie ausbrach und sich die Menschen im Getümmel die Kleider vom Leibe rissen. Insgesamt zählte man bei der Veranstaltung 350000 Besucher, der Reingewinn Jollys soll rund 130000 Mark betragen haben.
PETER PAYER, Hungerkünstler in Wien. Eine verschwundene Attraktion
    Zehnter Tag, 10. September
    86,7 KILOGRAMM
    Liegen ist sehr wichtig. Deshalb liege ich auch schon wieder im Bett. In den vergangenen zehn Tagen habe ich drei Viertel meiner Zeit unter Daunen zugebracht. Mein Zimmer ist der gemütlichste Ort der Welt: 40 Quadratmeter, Dielenboden, Fachwerkausbau mit Schornstein mitten im Zimmer. Mein Bett steht unter einer Schräge, es ist umgeben von Literatur, Musik und kleinen Fenstern, durch die ich die Welt draußen bewundern kann.
    Bei der Arbeit gibt es gerade nichts zu tun. Ich sitze einem Außerirdischen gleich in der Themenkonferenz und warte, ob ich etwas ergattern kann. Aber alle Themen sind vergeben oder passen nicht zu mir – also alles Politische, Kulturelle, Seriöse. Ich bin der Mann fürs Schnelle oder Bunte. Und schnell und bunt war heute nichts. Ich am wenigsten.
    Nach dem Fasten – also in etwas über einem Monat (!) – will ich wieder Gas geben und mich von meiner besten Reporterseite zeigen. Augenblicklich erlaubt mein Kontostand den Leerlauf. In den vergangenen Wochen war viel schnelles Geld mit bunten Filmchen zu machen.
    Nach der Konferenz gehe ich dummerweise in die Kantine, um mal zu gucken, wer so da ist und was es zu essen gibt. Die Kantine des NDR in Kiel ist ziemlich überschaubar. Es gibt zehn Sechsertische, eine große Salatbar, einen Tresen mit Essensausgabe. Dazu so etwas wie eine Kaffeeecke. Das Essen ist gut, und man kann dabei sogar auf die Kieler Förde schauen.
    Es sitzen immer ein paar Leute gemütlich in der Kantine herum und reden Schlechtes über diejenigen, mit denen sie gestern hier

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