41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
besonderen Tagen selbst mit einem gebogenen, klobigen Löffel essen durfte.
Wenn er nur diese flauschigen Bälle einmal mit den Händen fassen könnte! Er würde sie in seinem Mund und über sein ganzes Gesicht verteilen, und auch dort unten, wo ihn sein Vater so oft sorgsam und vorsichtig mit dem Lappen wusch und Louise ihn weniger vorsichtig rubbelte.
Er musste es schaffen. Es war ganz einfach. Er musste nur seine Hände ruhig halten und mit den Fingern nach dem Duft greifen. Ihn dann schnell zu sich heranziehen.
Die Blitze vor seinen Augen verflüchtigten sich, die Funken erloschen. Jetzt endlich wusste er, was er zu tun hatte.
Als seine Muskeln, von ihm unbemerkt, erschlafften, sein Atem ruhiger wurde und seine Augenlider sich wieder glätteten, war er sich sicher: Er würde sich Louises Gefühl holen.
Louise
Louise machte sich in der kleinen Kochnische im Gästezimmer zu schaffen. Sie schnitt Baguette in dicke Scheiben, legte sie in das Backrohr (ihr Toaster hatte den Geist aufgegeben und diente momentan als Utensilienkammer) und holte Martas sensationelles tartare de boef aus dem Kühlschrank. Marta versorgte sie täglich mit kleinen Leckereien, die sie frisch und mit ausgesuchten Lebensmitteln für das Bistro zubereitete. Sie achtete stets darauf, mehr als benötigt vorzubereiten, um Louise damit eine Freude zu machen. Louise wusste diese liebenswürdige Geste sehr zu schätzen, konnte sie doch zu jeder Tageszeit ihren treuen Freunden außergewöhnliche Häppchen zur Stärkung zwischendurch anbieten.
Der Ermittlungsleiter hatte mit einem zweiten Cognac wieder auf dem Sofa Platz genommen und schwieg.
Während sie Servietten faltete, Tomaten in dünne Scheiben schnitt und auf zwei Tellern verteilte, beglückwünschte sie sich selbst zu ihrer Intuition und ihrem schnellen Reaktionsvermögen.
Sie hatte keine Ahnung, ob die Indianer ihre Felder mit Asche düngten oder nicht und es war ihr auch vollkommen egal. Sie glaubte auch nicht, dass ihre Pflanzen in Anchieu wegen der von ihr ausgestreuten Asche so prachtvoll gediehen; vielmehr führte sie diese Tatsache auf den perfekt funktionierenden grünen Daumen ihrer alten Witwe zurück.
Sie war auch nicht schrullig oder einsam. Alt vielleicht, aber keineswegs verrückt. Schon gar nicht verschämt oder peinlich berührt. Ob Marcel sich über sie lustig machte oder nicht, interessierte sie nicht im Mindesten.
Tatsächlich aber hatte sie ihm ein Geheimnis verraten. Er glaubte bestimmt, er hätte es gehört; sie jedoch wusste, er hatte es gesehen.
Louise, Marcel
Louise sah keinen Grund, sich umzuziehen oder die Hände zu waschen. Sie würde, wenn er weg war, weiter bis spät in die Nacht arbeiten. Außerdem hatte sie ihn nicht gebeten zu kommen, also würde er sich wohl oder übel an ihre Umgebung anpassen müssen. Es schien ihn nicht zu stören.
Sie trug eine Platte mit den Tartarebrötchen zum Tisch, holte noch Salz, die Teller mit den Tomaten sowie Servietten. Keine Messer, keine Gabeln – Fingerfood nannte man dies heutzutage und er war jung genug, um sich damit auszukennen.
Sie setzte sich wieder ihm gegenüber, nahm sich ein Brötchen, lehnte sich mit einem kleinen Seufzer zurück und musterte ihn.
„Nun, mein Lieber, zweifellos haben Sie mich überprüft. Meine Daten in den allwissenden Computer eingegeben und gehofft, in dem, was er ausspuckt, die Lösung Ihres spektakulären Falls zu finden. Aber außer, dass Sie zwar von meiner seit 1946 strafbaren Tätigkeit wissen, sie aber leider nicht hieb- und stichfest belegen können, haben Sie keine nennenswerten Ergebnisse vorzuweisen. Sie kennen nicht einmal einen Bruchteil meiner Freunde mit Namen und konnten auch sonst nichts Anrüchiges über mich in Erfahrung bringen. Also haben Sie sich eine göttliche Eingebung einfallen lassen, um mir einen Überraschungsbesuch abzustatten. Selbstverständlich in der Hoffnung, mich bei irgendeinem schändlichen Vergehen auf frischer Tat zu ertappen. Stattdessen wurden Sie zur Arbeit eingeteilt und kommen nun mit leeren Händen morgen früh zu Ihrer Lagebesprechung ins Revier. Zu allem Überfluss finden Sie mich auch noch auf absurde Weise anziehend, obwohl Ihr Verstand Ihnen dringend davon abrät, in mir eine Frau statt eine Mutter zu sehen. Sie sind in einer Zwickmühle, würde ich sagen.“
Marcel getraute sich kaum, seinen ersten Bissen im Mund fertig zu kauen und zu schlucken.
Diese unverblümte Direktheit grenzte an Gemeinheit. Sie traf mit jedem ihrer
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