41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
seiner Wange zu spüren, war er weiter entfernt denn je. Verspürte ihn aber mehr denn je.
Louise konnte ihn beinahe denken hören. Seine Aufmerksamkeit und sein Interesse taten ihr gut, aber zu viel davon wäre fatal. Sie würde vorsichtig sein müssen.
Alette
Alettes letzter Kunde schlief wie ein Baby, trotz der Hitze zusammengerollt in eine himmelblaue Plüschdecke, an sie gekuschelt mit leicht geöffneten Lippen und schnarchte leise. Er war ein honigblonder Adonis, noch keine zwanzig Jahre alt. Seine Haut war im Sonnenstudio gebräunt, sein Körper im Fitnessraum geformt und seine Seele bereits im Mutterleib misshandelt worden. Seine Mutter war fünf Jahre jünger als Alette und hatte verzweifelt versucht, die Schwangerschaft mit ihm zu beenden. Dazu hatte sie einen Damenrasierer benutzt, um sich die Gebärmutter eigenhändig auszuschaben. In einer Jugendzeitschrift hatte sie davon gelesen und es sich einfach und preiswert vorgestellt. Letztendlich wurde sie von ihren Eltern im Bad gefunden, beinahe verblutet und immer noch schwanger. Ihre Eltern waren wohlhabende Industrielle, wenig erfreut über den Familienzuwachs, aber dennoch bereit, ihre Tochter zu unterstützen. Der Junge hatte sich für alle zufriedenstellend entwickelt, war intelligent, ein problemloses Kind und würdiger Erbe. Erst mit Erwachen seiner Sexualität gab es erste Probleme. Er gestand zunächst sich selbst, später dann seiner Mutter und seinen Großeltern ein, dass er besondere Gelüste hegte, die auf herkömmlichem Weg mit Freundinnen, Verlobten oder Ehefrauen nicht befriedigt werden konnten. Sein Großvater war es, der mit ihm einen Handel einging: Nach außen hin würde die Familienehre aufrecht erhalten werden, er verlangte von seinem Enkel in naher Zukunft ein geordnetes Familienleben mit Gattin und wohlerzogenen Kindern, dafür würde für sein außergewöhnliches Intimleben eine passende Lösung gefunden werden. Sein Großvater war es auch, der Louise ins Spiel brachte. Er selbst kannte sie (natürlich!) nicht, hatte aber von einem seiner Geschäftsfreunde von ihr gehört und Kontakt zu ihr aufgenommen. Louise hatte mit der Begründung abgelehnt, sie habe bereits ein Windelkind, ein zweites wäre in ihrem Alter nicht mehr zumutbar. Aber sie hatte ihn an Alette vermittelt, die sich seiner munter und bereitwillig angenommen hatte. Der hübsche, sonnengebräunte Jüngling hatte sich für Alette als Goldkind erwiesen. Er wollte ausgezogen und gewickelt werden, verlangte nach einer Saugflasche mit Babybrei, krabbelte einige Zeit am Boden umher und heulte irgendwann jämmerlich, er habe sich nass gemacht. Natürlich wollte er umgehend dafür bestraft werden: Alette riss ihm die Windel weg, schlug ihm mit der flachen Hand einige Male auf Po, Oberschenkel und Rücken, schrie ihn an, beschimpfte ihn und spätestens nach dem fünften Mal „Du böser Junge!“ und einem letzten festen Schlag auf sein Hinterteil kam er zu seinem Orgasmus. Lautstark, im ausgelassenen Singsang eines Kleinkindes. Die gesamte Vorstellung dauerte höchstens eine halbe Stunde, danach schlief er mindestens drei. Sie erhielt für ihr Entgegenkommen, ihn bei ihr noch ausschlafen zu lassen, dasselbe Honorar, als wenn sie sich aktiv mit ihm beschäftigen hätte müssen. Bezahlt wurde vom Großvater, immer anstandslos, meistens sogar mit Extrabonus um die Weihnachtszeit oder zu ihrem Geburtstag. In diesem Jahr erstmals auch am Muttertag. So lag er nun, unter seiner Kuscheldecke fest eingepackt in frische Windeln, die Alette regelmäßig in einem Sanitärfachgeschäft für Altenpflege erstand, dicht bei ihr und schlief tief und fest.
Sie konnte deutlich hören, dass jemand eindringlich versuchte, bei Louise Einlass zu finden. Die Türglocke schellte grell, Alette befürchtete, der Junge würde erwachen und sie eine Stunde Bezahlung verlieren, wenn er früher ging. Zornig löste sie sich von ihm, stand auf und ging zu ihrem Videoschirm im Flur. Louise hatte nach dem unschönen Vorfall vor einigen Jahren alle Wohnungen mit Gegensprechanlage und Video-system ausstatten lassen, um Sicherheit für sie zu schaffen. Nur die Wohnung des Hausmeisterehepaares hatte keine Video-, dafür aber eine Sprechanlage sowie einen Notfallalarm. Gleichzeitig war am alten Haustor das moderne Schloss angebracht worden und seither hatte es keine Probleme mehr gegeben.
Sie lächelte, als sie den vermeintlichen Gast erkannte. Sollte er doch sein Glück versuchen, der Monsieur Ermittlungsleiter.
Weitere Kostenlose Bücher