41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
zwischen Sofa und Couchtisch, umschlang krampfhaft Lucs Bein, ihr Gesicht an seine Wade geschmiegt, wiegte sacht ihren Oberkörper vor und zurück und summte leise einen der simplen Kinderreime, die sie seit mehr als zwanzig Jahren für Luc zur Beruhigung auswendig gelernt hatte.
Sie nahm die unablässig gellende Türglocke sowie das unerträgliche Ringen des Telefons im Flur nur dumpf wahr.
Dunkelgraue Erinnerungsfetzen stoben durch den erdrückenden Nebel in ihrem Gehirn. Der Fischcontainer. Das verrostete Messer. Die winzigen Füßchen im fahlen Schein der Straßenlaterne. Deformiert, krumm, missgebildet.
Sie hatte ihren Sohn verlassen, ihn in Lumpen gehüllt einer ungewissen Zukunft ausgesetzt. Er hatte unbeschreibliches Glück gehabt, von Hendrik und seiner Frau aufgenommen zu werden. Sie hatte all die Jahre neben ihm gelebt, war ihm mit Abneigung und Ekel begegnet und hatte dennoch eine zwar nicht erklärliche, aber deshalb umso unwillkommenere Verbundenheit zu ihm gefühlt.
Ein unbeschwertes Leben auf St. Martin, grausame Freier, perverse Kinderschänder – alles löste sich in bedeutungsloses Nichts auf.
Nun war er tot, weil sie keinen natürlichen Mutterinstinkt besaß, weil Liebe für sie ein einträgliches Geschäft und das Leben ihrer Mitmenschen eine hinderliche Notwendigkeit auf ihrem vermessenen Weg in die allumfassende Zufriedenheit waren.
Hendrik hingegen hatte nichts unversucht lassen, um Luc ein Leben in bedingungsloser Liebe und einträchtiger Harmonie zu bieten.
Nun war es an ihr, Luc zur Seite zu stehen.
Noch war es nicht zu spät, sie konnte ihn einholen, wenn sie sich beeilte.
Louise rappelte sich auf, langte in die Keramikschale, griff sich eine Hand voll silberner Schokoladebonbons, riss kopflos an der Folie und stopfte sich alle zugleich in den Mund. Sie hatte irgendwo gelesen, Zucker würde alle Stoffe auf direktem Weg ins Blut befördern. Für Alkohol galt diese Weisheit ebenso, daher trank sie ein Glas des für Hendrik bestimmten Rotweins in großen Schlucken in einem Zug aus.
Das Gellen der Türglocke und Schrillen des Telefons vereinten sich mit dem donnernden Hämmern an das alte Eichentor zu einer entsetzlichen Kakophonie.
Sie griff nach dem übrig gebliebenen goldenen Schokobon in der rechten unteren Ecke der Schale, wickelte es mit klammen Fingern aus seinem knisternden Zellophan und schob es zwischen ihre von Schokomasse, Rotwein und Erbrochenem verschmierten Lippen.
Sie legte sich auf ihren Sohn, bedeckte ihn vollkommen mit ihrem Körper, umfing seinen Kopf mit beiden Händen, vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge und atmete sich tief in Lucs Welt, trat ihre letzte Reise an, ruhig und gelassen, so wie es ihrem Wesen immer entsprochen hatte.
Lucs zusammengepresste Magennerven wehrten sich gegen ihr totes Gewicht mit zuckenden Krämpfen. Er würgte röchelnd.
Das Tor
In den letzten vierzig Jahren erschien es manch einem als himmlische Pforte zur vollkommenen Glückseligkeit. Manch einem aber erschien dahinter der Tod.
Dank
All jene, die mich bei meinem ersten Versuch als Neo-Autorin mit ihrem Vertrauen und Einsatz unterstützt und ermutigt haben, werden hier nicht namentlich genannt.
Ihr wisst, wie sehr ich euch für eure Hilfe, Begeisterung und Kritik, vor allem aber eure unschätzbare Freundschaft dankbar bin, nicht wahr?
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