41 - Unter heisser Sonne
Kunst genug vorhanden ist, geehrt und berühmt zu werden. Alle meine Bekannten sind der Meinung, daß Bedeutendes in ihm steckt. Ist es da nicht meine Pflicht, ihn zum großen Mann zu machen?“
Er sprach nicht etwa leise; der Knabe hörte jedes Wort. Infolgedessen kam er aus der Ecke zu uns hervor und sagte zu mir: „Du mußt das richtig erfahren, Effendi; der Vater teilt es dir nicht vollständig mit. Es ist nämlich so: Der Vater sagt: Er ist der ‚Auserwählte‘ der Mutter; die sieht ihm alles nach; aber er hat Talent zum Künstler und wird ein großer Mann. Die Mutter sagte immer: Er ist der ‚Auserwählte‘ des Vaters; der sieht ihm alles nach; aber er hat Talent zum tapferen Helden und wird ein großer Mann. Und der Lehrer, zu dem ich in den Unterricht gehe, der sagt stets: Er ist der ‚Auserwählte‘ seines Vaters, seiner Mutter und seiner ganzen Verwandtschaft; die sehen ihm alles nach; aber er hat nicht das geringste Talent zu irgend etwas Großem und ist nur zum Handel und Schacher und zum Vexieren bestimmt. So, nun weißt du es, Effendi!“
Er sagte das sehr ernst, und es war auch ernst, und nicht nur das, sondern sogar wichtig, unendlich wichtig. Sein Vater ahnte nicht den tiefen Sinn, der in den ehrlichen Worten des Kindes lag. Meine Frau aber ahnte ihn, denn sie sah mich an und nickte mir bedeutungsvoll zu. Der Bub hatte sich inzwischen äußerlich verändert, wenn auch nicht in den Farben, so doch in Beziehung auf ihre Anordnung. Was nämlich vorher grün gewesen war, das war nun blau, und was erst blau gewesen war, das war nun grün. Also grün waren jetzt das rechte Bein, der linke Arm und die beiden Backen, und blau waren das linke Bein, der rechte Arm und der Schnurrbart und der Knebelbart. Darum erkundigte ich mich zunächst: „Wer bist du denn nun jetzt?“
Er antwortete prompt: „Ich bin Judas Makkabäus und habe eine Blutrache gegen die Syrer. Aber das lasse ich einstweilen noch ruhen, weil ich gehört habe, was der Vater über mich sagte. Ich habe dir mitgeteilt, wie er über mich denkt, wie die Mutter über mich dachte, und wie der Lehrer über mich denkt. Nun möchte ich gern auch wissen, wie du über mich denkst, Effendi.“
„Sag' mir vorerst deine Meinung darüber, wer recht hat, der Vater, die Mutter oder der Lehrer!“
Er errötete, warf auf den Vater einen um Verzeihung bittenden Blick und antwortete: „Den Vater habe ich lieb, die Mutter habe ich lieb; aber sie haben beide unrecht. Den Lehrer habe ich nicht lieb, aber er hat recht.“
Da konnte ich nicht anders: Ich zog den Jungen an mich und küßte ihn auf die frei von Farbe gebliebene Stirn. Das Herz wollte mir überquellen, und ich sah, daß auch meine Frau tief innerlich ergriffen war; ihre Augen feuchteten sich. Es war ein geradezu heiliger Augenblick. Und Mustafa Bustani saß neben mir, sah uns lächelnd an und hatte nicht die geringste Ahnung von der tiefen Reinheit, der keuschen Offenheit und dem packenden Zauber der Kindesseele, die uns soeben offenbart worden war.
„So gib mir eine Frist“, bat ich Thar. „Wir sehen uns jetzt zum erstenmal wieder, und du bist anders geworden, als du früher warst. Ich sehe dich jetzt oft. Da mache ich mir eine Meinung über dich, und die sage ich dir, ehe ich Jerusalem verlasse.“
„Wirklich?“ fragte er bittend.
„Ja, wirklich“, antwortete ich.
Da strich er mir mit der Hand leise und zärtlich über die Wange und beteuerte: „Ich liebe auch dich; aber du wirst nicht unrecht haben, das weiß ich ganz bestimmt. Willst du einmal etwas sehen, was ich gemalt habe, wirklich gemalt?“
„Ja“, antwortete ich.
„Wann kommst du wieder?“
„Morgen um dieselbe Zeit.“
„Also schon am Vormittag. Da muß ich die Bilder heut' nachmittag beginnen und vollenden!“
Er sann einige Augenblicke nach. Ein schalkhaftes Lächeln zuckte über die grünen Backen und über die blaue Schnurrbartgegend. Dann fragte er seinen Vater: „Darf ich dich bitten, mir für heut' unser Gartenhaus zu überlassen?“
„Was willst du drin?“ erkundigte sich der Gefragte.
„Zwei Bilder malen und sie morgen dem Effendi zeigen.“
„Gut, du darfst.“
„Aber es darf mich niemand stören! Es ist keinem Menschen erlaubt, zu mir hereinzukommen, wenn ich nicht will!“
„Auch mir nicht?“
„Auch dir nicht!“
„Das ist ja interessant! Aber ich hoffe, daß es dir gelingen wird, dem Effendi etwas wirklich Gutes zu zeigen, und so habe ich nichts dagegen.“
„Allah sei
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