41 - Unter heisser Sonne
Gedichte und brüllendes Triumphgeheul. Er war verständig genug, dies einzusehen, und sagte: „Gut, Effendi, so unterlassen wir es; aber etwas tue ich doch. Kennst du das Lied von Bethanien, wo Jesus kommt, die Geschwister zu besuchen?“
„Nein.“
„So wirst du es hören. Ihr geht jetzt nach dem Hinnomtal und am Siloahteich vorüber?“
„Ja. Meine Frau wird dort wahrscheinlich photographieren.“
„Gut, das paßt! Bitte, geht langsam! Ich aber eile voraus.“
Ich wollte ihn ermahnen, ja nicht etwas vielleicht noch Unpassenderes zu tun, aber er wehrte ab und machte sich schleunigst aus dem Staub. Wir folgten ihm, und wie ich gedacht hatte, so geschah es: Meine Frau veranlaßte mich, den Apparat mitzunehmen. Sie wollte am Siloahteich und in Bethanien einige Aufnahmen machen.
Es ist nicht der Zweck dieser Erzählung, Jerusalem und seine Umgebung zu beschreiben. Darum unterlasse ich es, den Weg, den wir gingen, zu schildern.
Als wir hinkamen, war kein Mensch außer uns zu sehen. Ich freute mich darüber. Diese Einsamkeit und Ruhe paßte zu der Stimmung, in der wir uns befanden. Wir hatten uns den Weg nur mit ernstem Gespräch gekürzt. Die kleine Schamah aber wirkte wie ein lieber, inniger Sonnenstrahl, der diesen Ernst milderte. Die Witwe sah sich am Ziel ihrer Reise. In ihr bebte die unendlich wichtige Frage, ob ihre Pilgerschaft Erhörung finden werde oder nicht. Wir aber, die wir hiervon mehr wußten als sie, wir sahen die Entscheidung kommen und fühlten uns in hohem Grad innerlich gespannt.
Meine Frau wollte Schamah gern mit auf das Bild bekommen; aber das Kind hatte noch kein Vertrauen zu dem schwarz überhangenen Dreigestell, und so mußte sie für heute verzichten. Ich war es also allein, der aufgenommen wurde. Als das vorüber war und wir, bevor wir die Stelle verließen, sie noch einmal besonders in Augenschein nahmen, um sie uns einzuprägen, erklang plötzlich von rechts und von links, von oben und von unten, kurz von allen Seiten und von allen Höhen, wo die Knaben sich hinter den Steinen versteckt hatten, ein eigentümlich getragenes, zweistimmiges Lied in arabischer Sprache. Das war das Lied von Bethanien, wo Christus die Geschwister besucht und unterwegs am Siloahteich Kranke heilt. Unsere innere Stimmung und die äußere Szenerie, das, was hinter uns lag, und das, was wir vor uns zu erwarten hatten, und hierzu dieses uns vollständig überraschende, ganz eigenartige, tief ergreifende Christuslied: das alles wirkte derart auf uns ein, daß es uns fast niedergezogen hätte, um kniend zuzuhören. Und als es vorüber war, regte sich kein Hauch und kein Fuß. Die Sänger blieben in ihren Verstecken liegen; sie waren gut instruiert. Von diesem Augenblick an begann ich zu zweifeln, daß unser Bub so ganz ohne allen Kunstverstand geboren sei.
Von hier aus gingen wir nach dem Kidrontal und bis zur sogenannten oberen Brücke, um Gethsemane zu sehen. Dann über den jüdischen Begräbnisplatz nach Bethanien hinauf. Da stand vor dem Dorf der Bub, ganz allein. Er wartete auf uns und grüßte. Dann fragte er mich leise: „Hast du sie gesehen?“
„Wen?“ fragte ich wieder.
„Die Sänger. Sie sind euch, während ihr nach Gethsemane gingt, zuvorgekommen, denn sie haben hier noch einmal zu singen. Kommt! Ich führe euch zu Abd en Nom, damit ihr die Wohnung seht, die wir für Schamah bereitet haben. Dann gehen wir zum Grab des Lazarus, um zu photographieren!“
Er nahm Schamah bei der Hand und ging mit ihr voran. Das Haus Abd en Noms lag in der Nähe des Grabes. Der Besitzer kam heraus, sich tief und respektvoll zu verbeugen, mit ihm seine beiden Söhne, nach Thars Beschreibung bekanntlich ‚der größte Walfisch, den wir haben, und das schwerste Nilpferd, das es gibt‘. Sie machten aber beide einen ganz freundlichen, Zutrauen erweckenden Eindruck. Auch das Häuschen sah recht sauber und wohnlich aus. Es schien, als ob die Gäste hier eine recht zufriedenstellende Unterkunft finden würden. Und als wir das Innere betraten, sahen wir, daß diese Vermutung zur Wahrheit wurde. Denn die Einrichtung der beiden Räume, die es da für Schamah und ihre Mutter gab, ließ nach dortigen Verhältnissen nicht das geringste zu wünschen übrig. Sie waren außerdem mit all den Ästen, Zweigen und Blumen geschmückt, die für den ‚festlichen Wandelzug‘ bestimmt gewesen waren.
„Drum hatte ich solche Eile“, erklärte mir der Bub verstohlen. „Das mußte ja alles nun sehr schnell hierhergeschafft
Weitere Kostenlose Bücher