41 - Unter heisser Sonne
Die Liebe zu Weib und Kind hatte den Tod höchstens verzögern, nicht aber verhindern können. Der Gedanke, vom Vater und von der ganzen Familie verstoßen zu sein und niemals wieder Aufnahme finden zu dürfen, hatte ihm, dem aus der Verwandtschaft unlösbaren Semiten, das Leben gekostet. Und bereits im Sterben liegend, hatte er seiner Gattin das Versprechen abgenommen, sie werde nach Jerusalem pilgern und mit dem Kind seinen Bruder aufsuchen, um ihn, wenn möglich, doch noch zu versöhnen.
Sie hatten eigentlich von der Eiche Abrahams nur bis nach Bethlehem wandern wollen, aber vom Hospiz aus einen Zettel an einen gewissen Abd en Nom in Bethanien erhalten, der ihnen freie Aufnahme und Verpflegung in dessen Haus sicherte. Und zugleich hatte es sich gefügt, daß der uns bekannte Hammahr mit seinen Eseln nach Jerusalem mußte, um jemand von dort abzuholen, und sie also mitnehmen konnte, ohne daß sie zu bezahlen brauchten. Sie freuten sich über die Gefälligkeit dieses Mannes und über die im russischen Hospiz an der Abrahams-Eiche herrschende Humanität, ohne zu ahnen, daß es in Wahrheit unser ‚Held der Blutrache‘ war, dem sie das alles verdankten. Sie waren aber nicht in das Tal Hinnom hinab und direkt zu Abd en Nom, sondern hierher zu uns geritten, um sich bei uns zu erkundigen, ob es für eine einsame, christliche Pilgerin möglich sei, bei diesem Mann zu wohnen. Wir gaben die möglichst beste Auskunft und boten ihnen an, sie zu ihm zu begleiten, um zu sehen, was für ein Mann er sei. Sie nahmen dies dankbar an, und eben wollten wir aufbrechen, da klopfte es zum viertenmal an unsere Tür, und der Bub trat herein.
Er war ganz außer Atem und rief, als er Schamah und ihre Mutter sah: „Es ist richtig, was der Hammahr sagte! Ihr seid erst hier eingekehrt, anstatt direkt zu Abd en Nom zu reiten! Aber warum bleibt ihr so lange hier! Warum geht ihr nicht nach Bethanien, das Hinnomtal entlang und genauso, wie ich es dem Hammahr gesagt habe?“
Er stand im Begriff, sich zu verraten. Da nahm ich ihn beim Kragen und brachte ihn in das Nebenzimmer. Dort sagte ich: „Ich denke, Schamah und ihre Mutter sollen nicht wissen, daß du mit dem Hammahr eine Verschwörung angezettelt hast! Und da kommst du und sprichst selbst davon?“
„Allah, Allah!“ erschrak er. „Du hast recht! Das ist dumm von mir! Aber denke dich doch in meine Lage, Effendi! Ich stehe mit allen meinen Löwen und Elefanten und Nilpferden und Walfischen unten am Siloahteich, um Schamah vorüberkommen zu sehen und sie in einem großen, festlichen Wandelzug nach Bethanien zu begleiten – – –“
„Mit den Nilpferden und Elefanten?“ fiel ich ihm in die Rede.
„Ja, natürlich!“ nickte er. „Ich habe sie zusammengeholt, um meine neue Freundin mit ihrer Hilfe festlich zu empfangen. Sie haben ihre besten Kleider angezogen. Wir haben die ganze Umgegend nach Blumen und Sträuchern abgesucht, um sie ihr voran- und hinterherzutragen. Wenn sie kommt, halten wir sie an und machen unsere Verbeugungen. Dann wird ein Gedicht von Firdusi deklamiert. Hierauf halte ich die Festrede. Wenn die vorüber ist, folgen neue Verbeugungen mit einem Lied, welches wir teils singen und teils blasen. Sodann folgt ein zweites Gedicht; das ist von Busiri. Und endlich ein Triumphgeschrei, so laut wir brüllen können. Nun teilen wir uns, und der Wandelzug setzt sich in Bewegung – die Hälfte von uns vorn, die Hälfte hinten, ich aber in der Mitte zwischen Mutter und Tochter als Führer der beiden Esel.“
„Das ist ja reizend ausgedacht!“ lachte ich.
„Nicht wahr? Und nun denke dir, daß wir stundenlang gewartet haben, aber niemand kam! Als die Mutter von Schamah sich hier an deiner Tür von dem Hammahr trennte, ist dieser mit seinen Eseln in der Stadt spazieren gelaufen, anstatt den Weg, den ich mit ihm verabredet hatte, fortzusetzen. Erst später hat er daran gedacht, dies zu tun, und so habe ich erst vor einigen Minuten erfahren, daß die so sehnlich Erwarteten sich hier bei euch befinden. Ich bin sofort herbeigeeilt, um euch zu sagen, daß ihr schleunigst kommen müßt, wenn meine Löwen und Walfische nicht die Geduld verlieren sollen!“
Es tat mir leid, ihm seine Begeisterung nehmen zu müssen, aber ich konnte nicht anders, ich mußte es tun. Ich erklärte ihm, daß und warum ein solcher Empfang ganz unmöglich sei. Einer christlichen Pilgerin gezieme Bescheidenheit und innere Sammlung, nicht aber so etwas, am allerwenigsten aber mohammedanische
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