41 - Unter heisser Sonne
gegen den ‚Falken am Äquator‘. Wer unter euch hat ihn gesehen?“
Keiner antwortete, und der Sprecher fuhr fort:
„So bin ich es allein, der ihm begegnet ist.“
„Begegnet? Wirklich?“ rief es rundum. „Still! Ruhig! Erzählt, Kapitän! Wie sah er aus? Was tat er? Welches Schiff hatte er?“
„Das war vor zwei Jahren, unter fünf Grad nördlicher Breite und ungefähr auf der Länge von Adaman. Wir hatten einen Sturm, wie ich ihn noch nie erlebt habe, und das will viel sagen. Der Tag war finster wie die Nacht; der Orkan schien aus allen Richtungen auf uns einzufahren; der Himmel hing bis auf das Wasser nieder, und die Wogen stiegen bis in die Wolken empor. Da plötzlich sahen wir beim Schein der Blitze ein fremdes Fahrzeug, dessen Schnabel gerade gegen unseren Bug gerichtet war. Seine Segel glänzten weiß wie das Federfell eines Schwans, und – glaubt's oder glaubt's nicht – der Halunke hatte kein einziges Reff gelegt; er fuhr mit voller Leinwand auf uns ein. Es war ein zweimastiges Fahrzeug, ungefähr so, was man eine Brigantine nennt. Natürlich hatte ich Angst vor dem Zusammenprall und befahl dem Mann am Steuer, einen Strich abzufallen. Da schoß der Fremde an uns vorüber, so nahe, daß ich ihn mit der Hand greifen konnte. Ich nahm das Sprachrohr an den Mund und rief ihn an: ‚Schiff ahoi! Welches Fahrzeug?‘ Ich sah keine Menschenseele auf dem Deck; ein einziger Mann hing in den Backbordwanten. Dieser brauchte kein Rohr; er legte die eine Hand an den Mund und rief herüber, als ob das Brüllen des Sturmes nur ein leises Säuseln sei: ‚Der Falke des Äquators, Kapitän Surcouf. Gebt ihm eins! Feuer!‘ – Da erst sehe ich drüben die französische Flagge und unter ihr die blutrote wehen; es tun sich sechs Geschützpforten auf, und wir bekommen die Kugeln in den Rumpf, während der Franzose im Dunkel des Wetters verschwindet. Na, wir haben die Löcher verstopft und weiter keinen großen Schaden gehabt; aber wenn der Kerl bei solchem Sturm den Spaß nicht lassen kann, wie mag es dann erst gehen, wenn er bei sicherer See einmal Ernst macht!“
„Ja“, meinte einer der Zuhörer, „er soll ein entsetzlicher Kerl sein. Admiral Seymur sagte von ihm: ‚Er hat eine jährliche Rente von 365 gekaperten Schiffen‘, und das ist genug gesagt. Er segelt mit seinem Zweimaster die größten Schiffe an und soll selbst ein Orlogschiff ersten Ranges nicht fürchten.“
„Oho!“ rief der Kapitän, welcher den Wirt machte. „Mir sollte er nicht kommen; ich würde ihn schlimm heimschicken, so wahr ich James Sarald heiße!“
„Sprecht nicht zu viel, Kapitän!“ warnte einer. „Kennt Ihr die Angriffsweise dieses Robert Surcouf?“
„Nun?“
„Er ist kein Seeräuber; er zeigt Euch ganz ehrlich seine Flagge und kommt an Euch heran, ohne einen Schuß zu tun. Bord an Bord aber, springt er mit zwanzig Mann zu Euch an Deck. Wehrt Ihr Euch, so gebraucht er seine Waffen; ergebt Ihr Euch aber, so geschieht Euch kein Leid. Er führt Euer Schiff nach dem Hafen der nächsten französischen Kolonie, wo es im Namen Frankreichs mit Beschlag belegt wird. Ihr erhaltet richtige Bescheinigung und Reisegeld, um nach Hause zu kommen.“
„Weiter nichts? Mit zwanzig Mann? Pah!“
„Lacht ja nicht, Kapitän Sarald!“ rief ein anderer. „In der Nähe des Ambra-Vorgebirges hat er mit zwanzig Mann den ‚Bananian‘ geentert, ein Schiff der Ostindischen Kompanie, mit 26 Kanonen schwersten Kalibers und über 200 Mann Besatzung, alle gut bewaffnet. (Diese Tat ist geschichtlich wahr, so unglaublich sie auch klingen mag.) Ich mag ihm nicht begegnen!“
„Und ich wünsche nun gerade, ihm zu begegnen!“ behauptete Sarald.
„Sprecht diesen Wunsch nicht aus, denn er könnte in Erfüllung gehen!“ meinte sehr ernst der Amerikaner, welcher bisher schweigend zugehört hatte. „Es soll mit Surcouf nicht zu scherzen sein.“
„Oh, Ihr mögt Euch vor ihm fürchten, Ihr mit Eurer Nußschale“, antwortete Sarald; „ich aber würde ihm nur mit der neunschwänzigen Katze antworten.“
Der Yankee lächelte, indem er kopfschüttelnd bemerkte:
„Darauf könnte sehr leicht eine Gegenantwort erfolgen, die noch schlimmer als die Katze wirkt. Was aber meine ‚Nußschale‘ betrifft, so dürfte sich dieselbe mehr Respekt erwerben, als Euer Dreimaster.“
„Oho! Soll das eine Beleidigung sein?“
„Ich bin Euer Gast und pflege einen Gastfreund zu ehren, aber nicht zu beleidigen. Um Euch jedoch zu beweisen, daß ich auf
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