41 - Unter heisser Sonne
Worten herrschte längeres Schweigen. Die beiden Gefangenen hätten sich vieles zu sagen gehabt, aber der Augenblick war zu weihevoll, als daß ein profanes Wort ihn hätte stören dürfen.
Nach längerer Zeit wurde die Türe geöffnet. Man rief Surcouf, um ihn zum kommandierenden General zu führen. Es dauerte lange, ehe er zurückkehrte, und dann wurde Pater Martin abgeführt. Dieser kam sehr bald zurück. Er hatte sich erklären sollen, ob er bereit sei, den Bürgereid zu leisten, und als er sich entschieden weigerte, war ihm eröffnet worden, daß man ihn als Verräter behandeln müsse und ihm also seine Freiheit nicht zurückgeben könne. Surcouf fragte ihn, was er dagegen zu tun entschlossen sei.
„Was soll ich tun?“ fragte er. „Ich bin ein Mann des Wortes, aber nicht ein Mann des Schwertes. Es wird mir gehen wie vielen anderen; man wird mich nach Paris bringen und dort werde ich verschwinden.“
„Ah, du würdest nicht in Paris, sondern bereits schon unterwegs verschwinden; aber dies soll nicht geschehen, so wahr ich Robert Surcouf heiße!“
„Wie wolltest du mir helfen? Du bist ja selbst Gefangener!“
„Aber ich werde es nicht immer sein. Der General wollte sich nur vergewissern, ob ich ein Emissär sei oder nicht. Sobald er einsah, daß ich ein ehrlicher Seemann bin, handelt es sich nur noch um die kleinen Hiebe, welche diese guten Bürger Soldaten von mir erhalten haben, und darüber soll Colonel Bonaparte urteilen, wurde mir gesagt. Ich werde also baldigst auf freiem Fuße sein.“
„Welcher Mensch kann mit Sicherheit auch nur von dem nächsten Tage sprechen! Ich wollte nach Sisteron, um von da vielleicht über Gap oder Embrun und Briançon aus Frankreich zu kommen; nun aber bin ich gar gefangen!“
„Über Gap und Embrun? O malheur! Einen solchen Fluchtweg kann nur eine Seele einschlagen, die mehr im Himmel als auf der Erde wandelt! In diesen beiden Festungen muß ein jeder hängenbleiben, der nach dieser Richtung hin entkommen will, und übrigens wimmelt die ganze Strecke von Toulon bis an die italienische Grenze von Conventstruppen, welche schwer zu täuschen sind. Dazu begreife ich nicht, wie man in einem Weinhaus einkehren kann, wenn man den Häschern entgehen will!“
„Der Wirt dieses Hauses ist mein Verwandter; er hielt mich lange Zeit versteckt, und eben wollte ich Abschied nehmen, als das Wetter die Soldaten herbeitrieb.“
„Das hätte nichts zu sagen gehabt; aber dieses geistliche Gewand ist zum Verräter geworden. Überhaupt gibt es von hier aus auf dem Landweg kein Entkommen; nur auf der See ist die gesuchte Freiheit zu finden.“
„Aber wie gelangt man ohne Freunde, ohne Mittel und ohne Kenntnis der Gelegenheiten auf ein sicheres Schiff?“
„Durch mich, durch Robert Surcouf. Verstanden?“
Er konnte nicht weitersprechen, denn die Tür wurde abermals geöffnet, und es trat ein Grenadier herein, in welchem Surcouf seinen Freund Junot erkannte. Dieser war jetzt noch gewöhnlicher Soldat, aber man weiß, daß er nur drei Tage später Sergent wurde. Bei der Beschießung von Toulon vom 15. bis 17. Dezember 1793 diktierte ihm Napoleon einen Befehl; da schlug eine Kanonenkugel neben ihnen in den Boden und bespritzte das Blatt mit Erde. „Prächtig“, rief Junot, „so brauchen wir keinen Streusand!“ Durch diese Worte wurde Bonaparte auf ihn aufmerksam und ließ ihn von da nicht wieder aus den Augen, so daß Junot schon 1804 Divisionsgeneral und Kommandant von Paris wurde.
Dieser Grenadier, welcher jetzt wohl nicht ahnte, daß er einst eine Herzogskrone tragen werde, hatte große Freude, seinen Freund Surcouf wiederzusehen. Er erfuhr, daß dieser sich um eine Anstellung in der Marine bewerbe, und daß er nun auch von General Cartaux abfällig beschieden worden sei. Junot konnte für den Freund nichts tun, als ihm seine gegenwärtige Haft erleichtern; er sorgte für Speise, Trank und Licht und mußte die beiden dann ihrem Schicksal überlassen.
Erst am Nachmittag des nächsten Tages kam eine Ordonnanz, welche den Seemann zu Bonaparte bringen sollte. Dieser befand sich nicht in Beausset, sondern außerhalb des Ortes in einer Schanze, von welcher aus die Befestigungen von Toulon beschossen wurden.
Diese Stadt hatte sich der unter Admiral Hood stehenden Flotte der vereinigten Engländer und Spanier ergeben, und der Convent machte die riesigsten Anstrengungen, diesen hochwichtigen Platz zurückzuerobern. Leider erwiesen sich die Generäle Cartaux und Doppet als
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