42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
keine Reue, sondern nur die kalte, gefühllose Gier des Raubtieres. Der Graf hob die Tasse zum Mund, setzte sie an und trank; er leerte sie bis zum letzten Tropfen des süßen, jetzt so heimtückischen Getränkes und setzte sie dann langsam wieder ab. Ein Seufzer der Erleichterung, der Befriedigung klang leise durch das Zimmer; er kam aus dem Mund des Advokaten, der nun mit dem demütigen Ton eines Dieners den Grafen fragte, ob er noch etwas zu befehlen habe. Dieser antwortete:
„Ich habe allerdings eine kleine Arbeit für Euch, Señor Cortejo. Ich beabsichtige nämlich, den Doktor Sternau länger an mein Haus zu binden. Setzt doch einmal eine Bestallung auf, ähnlich wie sie dem Doktor Cielli vorgelegt wurde, aber bemerkt dabei ein jährliches Gehalt von dreitausend Duros. Ich werde sie dem Doktor Sternau vorlegen, um zu sehen, ob er sie akzeptiert.“
„Ich werde mich noch heute an die Arbeit machen, Erlaucht. Dürfte ich mir die Frage erlauben, ob zu diesem Gehalt außerdem noch vollständig freie Station auf Rodriganda kommt?“
„Das versteht sich! Haltet Ihr diese Stellung für zu glänzend?“
„Allerdings.“
„Señor Sternau hat sie verdient. Leider ist es noch sehr die Frage, ob er sie annehmen wird. Für jetzt sind wir fertig. Lebt wohl!“
Der Notar entfernte sich nach einer tiefen Verbeugung. In seinem Zimmer angekommen, warf er den wieder mit zurückgebrachten Kontrakt mit einem höhnischen Lachen auf den Tisch und grollte:
„Dreitausend Duros! Da könnte dieser Mensch leben wie ein Baron. Aber es soll ihm nicht so wohl werden. Die Bestallung wird nicht ausgearbeitet. Ich werde ihm jetzt sofort nach Barcelona nachgehen. Während meiner Abwesenheit wirkt die Medizin, und auf mich wird kein Verdacht fallen, da ich ja nicht hiergewesen bin. Hahaha, der Teufel ist mein Genosse; er ist oft mächtiger als dieser Gott, vor dem sich Tausende fürchten, ohne daß sie sagen können, daß er auch wirklich existiert.“
Kaum eine halbe Stunde später ritt er auf der Straße dahin, welche vor ihm Sternau eingeschlagen hatte. Es begann mit diesem Ritt eine neue Episode im Kampf des Bösen gegen das Gute.
Und abermals eine halbe Stunde später kam der Kastellan aus seiner hochgelegenen Wohnung herab, um sich für heute die Befehle des Grafen zu erbitten. Er gehörte zu denjenigen, welche sich nicht anmelden zu lassen brauchten, und trat daher wie gewöhnlich, ohne den Diener voranzusenden, in das Zimmer. Er wäre vor Schreck beinahe sofort aus demselben entflohen, denn der Graf kauerte wie ein Tier in der äußersten Ecke und stieß ein klägliches Wimmern aus.
„O tut mir nichts – nichts – nichts!“ bat er jammernd. „Ich weiß ja nicht, wer – wer – wer ich bin!“
Der Kastellan war kein Held, aber die Liebe zu seinem guten Herrn gab ihm Mut, zu bleiben.
„Erlaucht! Don Emanuel!“ rief er. „Ich komme, um zu fragen –“
„O fragt doch nicht!“ bat der Graf, ihn unterbrechend, „ich weiß – weiß – weiß es ja nicht mehr!“
„Mein Gott!“ rief der Kastellan. „Was ist hier geschehen! Mein lieber, teurer Don Emanuel, steht doch auf! Erlaubt, daß ich Euch aufrichte!“
Er näherte sich dem Grafen; dieser jedoch drückte sich noch tiefer in die Ecke hinein, streckte seine Hände abwehrend aus und sagte:
„Bleibt fort von mir! Tut mir nichts – nichts – nichts! Ich weiß es ja nicht – nicht – nicht!“
„Aber, Erlaucht, kennt Ihr mich denn nicht mehr? Ich bin ja Euer treuer Alimpo!“
„Alimpo? A – lim – po?“ fragte der Graf sinnend, er richtete sich langsam empor, trat einen Schritt vor und fügte hinzu: „Alimpo, oh, richtig! Ich bin der treue Alimpo. O ja, jetzt weiß weiß – weiß ich es. Ich bin Alimpo!“
Seine erstarrten Augen erhielten einen belebteren Ausdruck. Er schritt leise im Zimmer auf und ab, ohne den Kastellan weiter zu beachten, und murmelte bald mit freudigem, bald mit schmerzlichem Ausdruck:
„Ja, ja, ich bin der treue Alimpo, ja, ja, jetzt weiß ich es. Mein Name ist Alimpo!“
Jetzt geriet der Kastellan in solche Angst, daß er schleunigst fortlief, und zwar zu seiner Elvira. Es gab ja niemand, dem er das, was er gesehen hatte, besser anvertrauen konnte als ihr. Sie befand sich gerade beim Plätten eines Wäschestückes, als er bei ihr eintrat.
„Elvira!“ rief er, vom schnellen Laufen ganz außer Atem.
„Was ist?“ fragte sie.
„O meine Elvira!“
Jetzt erhob sie die Augen von ihrer Arbeit und ließ bei
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