42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
förmlich abkaufen.
„Warum soll der Arzt gesucht werden?“ fragte der junge Graf weiter.
„Seine Erlaucht, Don Emanuel, sind plötzlich erkrankt.“
„Ah! Was fehlt ihm?“
„Ich glaube, daß er wahnsinnig geworden ist.“
„Wahnsinnig? Donnerwetter!“ Diesen Fluch stieß er im Ton des Schreckens aus, ein aufmerksamer Beobachter aber hätte sehr leicht bemerken können, daß sein Auge wie unter einer unerwarteten Freude aufleuchtete. Dann sagte er zu dem Kastellan: „Es ist gut. Ich werde sofort erscheinen!“
Kaum hatte der sich entfernende Alimpo die Tür hinter sich geschlossen, so sprang die fromme Schwester auf, faßte den jungen Grafen bei der Hand und jauchzte:
„Gewonnen, Alfonzo, gewonnen! Der Herr erhört das Gebet der Seinigen. Weißt du, wer diesen Wahnsinn hervorgebracht hat?“
„Nun, wer?“
„Dein Vater.“
„Ah! Nicht möglich! Kann man Menschen wahnsinnig machen, die vor einer Stunde noch gesund waren?“
„Jawohl. Dein Vater hat mir die Einzelheiten nicht mitgeteilt, aber er sagte mir noch gestern abend, daß heute mit dem Grafen etwas passieren werde.“
„Alle Teufel, das ist klug! Es ist kein Mord, und doch bin ich der Erbe!“
„Ja. Gehe sofort hinab, mein Sohn, um dich in den Besitz der Gewalt zu setzen. Der Herr segnet die Seinigen mit Reichtum und großen Gütern. Ihm sei Preis in alle Ewigkeit. Amen!“
Alfonzo begab sich in das Zimmer des Grafen. Er fand denselben wie vorher ruhelos auf und ab gehend. Rosa hatte ihre Fassung wiedererlangt und gab sich Mühe, dem Vater ein denkendes Wort, einen Aufblitz des Verstandes zu entlocken. Amy unterstützte sie dabei, und auch die Kastellanin war noch mit zugegen, um die Flut ihrer Tränen unversiegt zu erhalten.
„Was geht hier vor?“ fragte Alfonzo, als er eingetreten war.
„Denke dir, mein Bruder, der Vater ist plötzlich so krank geworden, daß er irre redet“, versetzte Rosa, indem sie Alfonzo entgegenging.
„Das ist allerdings ein höchst unglückliches Ereignis“, sagte er in einem Ton, welcher sein kindliches Bedauern ausdrücken sollte, aber dennoch so kalt und gefühllos klang, daß die Gräfin ihre bereits nach ihm ausgestreckte Hand wieder zurückzog. „Und da sendet man reitende Boten nach diesem Sternau, während man den Sohn und Bruder ohne Nachricht läßt!“
„Sternau ist der Arzt“, entschuldigte sich Rosa, „und der Arzt ist in solchen Fällen wünschenswerter und notwendiger als jeder andere.“
„Ah, wirklich?“ fragte er mit einem impertinenten Lächeln. „Ich denke im Gegenteil, daß nur der Sohn es ist, welcher die nötigen Schritte zu tun und zu befehlen hat, er also mußte zuerst und vor allen Dingen benachrichtigt werden. Ich denke, Doktor Sternau ist Chirurg?“
„Allerdings.“
„Auch Irrenarzt?“
„Ich habe ihn darüber noch nicht gefragt, glaube aber, daß man ihm die nötige Kenntnis und Erfahrung, den Vater zu behandeln, zutrauen darf.“
„Von glauben ist hier keine Rede. Sternau wird den Vater nicht behandeln; ich werde vielmehr nach Manresa zu Doktor Cielli senden.“
Da streckte Rosa die Hand abwehrend aus und sagte:
„Doktor Cielli wird den Vater nicht behandeln; das gebe ich nicht zu. Der Vater hatte kein Vertrauen zu ihm.“
„Desto größer ist das meinige. Ich bin der Erbe; ich habe hier zu befehlen.“
„Ah, du denkst angesichts dieses fürchterlichen Falles bereits an das Erbe. Gut. Warte einen Augenblick!“
Es schien auf einmal alles mädchenhaft Schüchterne von ihr gewichen zu sein. Sie trat mit festen Schritten in das Nebengemach, entnahm in demselben einen geladenen Revolver, kehrte mit demselben zurück, verschloß die Tür und steckte den Schlüssel zu sich. Dann fuhr sie in drohendem Ton fort:
„Wer Erbe ist und hier zu befehlen hat, das wird sich finden. Zunächst werde ich den armen Vater bis zur Rückkehr Doktor Sternaus unter meine Obhut nehmen.“
„Und ich erkläre, daß dieser obskure Sternau nicht über diese Schwelle kommen soll“, antwortete Alfonzo. „Was soll dieser Revolver?“
„Ich werde jeden niederschießen, der es wagt, dieses Gemach ohne meine Erlaubnis zu betreten.“
„Ah! Ein Mädchenscherz!“
„Pah! Versuche ja nicht, zu sehen, ob es Ernst wird!“
„Soll auch ich erschossen werden?“ lachte er.
„Auch du!“ drohte sie mit ernster Stimme.
„Sei keine Närrin. Gib die Waffe her!“
Er trat auf sie zu, sie aber erhob den Revolver.
„Zurück, Mensch! Ich schieße dich sonst nieder. Bei
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