42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
dem besorgniserregenden Anblick ihres Mannes vor Schreck die glühendheiße Plättglocke mit einem lauten Krach zu Boden fallen.
„Heilige Madonna!“ jammerte sie. „Was ist geschehen? Du siehst ja ganz verzweifelt aus, mein Alimpo!“
„Ja, ja, ganz verzweifelt!“ ächzte er, nach Luft schnappend.
„Worüber denn? Weshalb?“
„Über den gnädigen Grafen.“
„Was ist mit ihm?“
„Er ist – oh, ach! Er ist – er ist verrückt geworden!“
Elvira trat einen Schritt zurück und öffnete den Mund, um etwas zu sagen; aber das Wort kam nicht heraus, und der Mund blieb offen.
„Ja, ja, verrückt geworden, vollständig verrückt!“ ergänzte der Kastellan.
Erst jetzt, bei der Wiederholung des Schrecklichen, fand Elvira die Sprache wieder, aber es war kein Klagelaut, den sie ausstieß, sondern sie sagte in einem strengen, entrüsteten Ton:
„Mein teurer Alimpo, du selbst bist verrückt!“
„Ich?!“ fragte er beinahe zornig. „Höre, meine liebe Elvira, solche Anzüglichkeiten muß ich mir verbitten! Du begehst eine großartige Verwechslung, nicht ich, sondern der Graf ist verrückt.“
„So! Und wer hat dir dies weisgemacht?“ fragte sie mit examinatorischer Miene und Stimme.
„Niemand. Ich habe es selbst gesehen.“
„Unmöglich! Wer weiß, was du gesehen hast, mein teurer Alimpo!“
Ein solcher Zweifel war zuviel für ihn. Er faßte seine dicke Gattin beim Arm, um sie aus dem Zimmer zu ziehen, und bat dabei:
„Komm mit, Elvira! Du sollst sehen, daß ich recht habe.“
„Ja, gleich!“ antwortete sie. „Laß mich nur erst den Plättstahl aufheben!“
Sie nahm die Plättglocke vom Boden auf, in den sie bereits einen schwarzen Fleck gesengt hatte, brachte sie in Sicherheit und folgte dann ihrem Mann nach dem Zimmer des Grafen. Dort angekommen, fanden sie denselben, noch immer mit leisen, heimlichen Schritten in dem Raum auf und ab gehend. Dabei sagte er immer:
„Ja, ja, tut mir nichts, denn jetzt weiß – weiß – weiß ich es; ich bin der treue Alimpo!“
Dabei sah er so verstört aus, daß gar kein Zweifel möglich war, daß der plötzliche Wahnsinn aus ihm redete. Die Kastellanin hatte kaum den ersten Blick auf ihn geworfen, so schlug sie die Hände zusammen und schrie:
„O heilige Madonna, es ist wahr; er ist wahnsinnig!“
Sie sank in einen Stuhl; sie war keiner Bewegung fähig. Der Graf hatte ihre Stimme gehört; er wandte sich mit einem unheimlichen gläsernen Blick um und sagte:
„Wahnsinnig? Wer? Ich bin Alimpo – Alimpo – ja, der treue Alimpo!“
Dann setzte er sein Hin-und Hergehen wieder fort.
„Laufe, laufe, Alimpo!“ stöhnte die Kastellanin. „Hole schnell die gnädige Contezza herbei!“ jammerte die Kastellanin.
Er folgte diesem Gebot und fand nach einigem Suchen Rosa in dem Zimmer der Engländerin. Auch sie sah es ihm sogleich an, daß etwas nicht Gutes geschehen sein müsse, und fragte ihn:
„Welche Eile, Alimpo! Was gibt es?“
„O meine gnädige Contezza, erschreckt ja nicht!“ bat er, beinahe zitternd.
„Mein Gott, das klingt ja höchst beunruhigend!“ sagte sie erschrocken. „Rede schnell, Alimpo; was ist geschehen?“
„Etwas Fürchterliches, etwas ganz und gar Fürchterliches!“
„Nun rede doch! Du spannst mich ja auf die Folter!“
Sie war von ihrem Sitz aufgesprungen und faßte den Kastellan bei der Schulter.
„Es ist – es ist jemand – verrückt geworden!“ stammelte er.
„Verrückt? Meinst du wahnsinnig?“ fragte sie im Ton des Unglaubens.
„Ja, wahnsinnig!“ nickte er.
„Unmöglich! Der Wahnsinn kommt nicht wie ein Dieb in der Nacht.“
„Und doch ist er wahnsinnig“, behauptete der Kastellan. „Meine Elvira sagt es auch.“
„Aber wer denn?“
„O meine teure Contezza, verzeiht mir, daß ich es Euch sagen muß! Es wird Euch großen Schmerz bereiten. Ich spreche von Don Emanuel.“
„Mein Vater?“ fragte Rosa, ganz starr vor Erstaunen.
„Ja.“
Da lächelte sie und antwortete ihm:
„Mein guter Alimpo, da liegt jedenfalls ein gewaltiger Irrtum vor.“
„Nein, nein“, beteuerte er. „Don Emanuel ist wirklich wahnsinnig! Meine Elvira hat ihn auch gesehen. Sie ist sogar noch jetzt bei ihm.“
„Wie zeigt sich denn sein Wahnsinn?“ fragte Rosa, noch immer lächelnd.
„Er knurrte wie ein Hund in der hintersten Ecke, als ich zu ihm kam. Er hatte starre, angstvolle Augen; er wimmerte und bat mich, ihm ja nichts zu tun. Er hatte vergessen, wer er ist, jetzt aber hält er sich für
Weitere Kostenlose Bücher