42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
er sich. „Welch ein Hohn! Dieser Mensch durchschaut mich, er blickt mir in die Karten. Ich muß ihn unschädlich machen. Woher weiß er, daß Fremde hier gewesen sind, welche den Lieutenant zum Wagen geschafft haben, und daß ich dabei war? Ah, er soll noch heute so viel von dem fremden Gift bekommen, daß er genug hat. Es ziehen sich überhaupt finstere Wolken über mir zusammen; aber ich werde sie zerteilen. Auch der Graf soll einige Tropfen des Giftes haben. Eigentlich sollte ich ihn töten, aber Wahnsinn ist ebenso schlimm wie der Tod. Der Wahnsinnige kommt unter Kuratel, und Alfonzo wird den ungeheuren Besitz antreten, geradeso, als ob der Graf gestorben wäre. Bei Gott, ich werde siegen, trotzdem sich Feinde auf allen Seiten gegen mich erheben!“
Während der Schurke auf diese Weise monologisierte, rief Sternau die hervorragendsten Bewohner des Schlosses, den Grafen Emanuel ausgenommen, zusammen und teilte ihnen mit, daß der Lieutenant de Lautreville verschwunden sei. Diese Kunde brachte eine außerordentliche Aufregung hervor, besonders als er erwähnte, daß er im Park Spuren entdeckt habe, welche auf eine gewaltsame Entführung schließen lassen. Seinen Verdacht gegen den Advokaten verschwieg er einstweilen noch.
Am tiefsten ergriffen war die Engländerin. Sie bat den Arzt, doch alles anzuwenden, um das Dunkel aufzuklären. Er hingegen bat die Anwesenden, dem Grafen ja nichts von der Angelegenheit merken zu lassen. Man beriet sich über die geeignetsten Mittel, den Lieutenant wieder aufzufinden, und gab zu, daß die Möglichkeit doch immerhin vorhanden sei, daß Lautreville sich freiwillig entfernt habe. Ja, es konnte sogar angenommen werden, daß er sich auf einem Morgenspaziergang befinde, während man sich in dieser Weise um ihn sorgte; die Spuren im Park konnten sich ja auf ein ganz anderes und ganz gewöhnliches Ereignis beziehen. Darum wurde beschlossen, den heutigen Tag noch abzuwarten und erst nachher zunächst über den Verschwundenen in Paris, welche Stadt er als seine Garnison angegeben hatte, Erkundigungen einzuziehen.
Sternau war mit diesem Entschluß einverstanden, nahm sich jedoch im stillen vor, nichts zu versäumen, was Licht in das Dunkel bringen könne. Darum erbat er sich von dem Grafen unter dem Vorgeben, daß er in einer unaufschiebbaren Angelegenheit nach Barcelona reisen müsse, einen Urlaub und ließ sich ein Pferd satteln. Nachdem er sich von dem Diener des Lieutenants nochmals hatte versichern lassen, daß auch diesem das unbegreifliche Verschwinden seines Herrn ein Rätsel sei, stieg er in den Sattel und verließ das Schloß.
Auch der Advokat hatte mit Alfonzo und der Schwester Clarissa jener Beratung beigewohnt. Er hatte da erfahren, warum der Verdacht Sternaus gerade auf ihn gefallen sei, und nahm sich desto fester vor, den Arzt unschädlich zu machen. Als er hörte, daß für den letzteren ein Pferd gesattelt werde, vermutete er sofort, daß der Ritt Sternaus mit dem Verschwinden des Lieutenants im Zusammenhang stehe. Vielleicht wollte der Arzt die aufgefundene Spur weiterverfolgen; darum verließ der Advokat noch vor ihm das Schloß und eilte auf einem Umweg nach der Stelle, an welcher während der Nacht der Wagen gestanden hatte. Er brauchte nicht lange zu warten, so sah er seinen Gegner kommen.
Sternau hatte geahnt, daß er beobachtet werde, und deshalb den Weg nach dem Dorf eingeschlagen, dann jedoch war er zur Seite abgebogen und kam nun zu der erwähnten Stelle, um die Spur von neuem aufzunehmen.
Er brauchte, um die Wagengeleise zu erkennen, gar nicht vom Pferd zu steigen und ritt der Fährte nach, ohne den verborgenen Lauscher zu bemerken. Dieser ließ ihn fort und kehrte dann nach dem Schloß zurück.
„Es ist so, wie ich dachte“, murmelte er ergrimmt in sich hinein. „Er geht der Spur nach, wird sie aber auf der nächsten Straße, wo so viele Geleise zusammenführen, sicher bald verlieren. Dennoch aber darf ich nicht langsam sein; ich muß schnell handeln, um allen Eventualitäten zuvorzukommen.“
Als er das Schloß wieder betreten hatte, begegnete er einem Diener, welcher die Morgenschokolade nach dem Zimmer des Grafen Emanuel trug, und zugleich bemerkte er, daß Gräfin Rosa zu dem Kastellan ging, jedenfalls um mit Frau Elvira die wirtschaftlichen Vorkommnisse des laufenden Tages zu besprechen.
„Ah“, dachte er, „jetzt ist der Graf allein; also jetzt oder nie!“
Er eilte nach seiner Wohnung, um das Fläschchen, welches Kapitän Landola ihm
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