43 - Der Triumph von Scorpio
zu Wasser zu lassen, das nur noch aus zersplitterten Holzbalken bestand. Wind und Wellen hämmerten gegen den Rumpf. Die Frische der von Wasser durchsetzten Luft kam nach dem Gestank unter Deck wie ein Schock. Ich trat vorsichtig über den Toten, der mit dem Unterleib in der Luke hing. Er hatte dunkles, lockiges Haar und einen Schnurrbart, der einst frech nach oben gedreht gewesen war und nun naß und traurig herunterhing. Ich starrte feindselig zu den Männern hinüber, die sich hinter dem Schanzkleid zusammendrängten.
O ja, ich wußte, wo ich war und um wen es sich hier handelte.
Der Schlüssel! Ich mußte den Schlüssel finden, und zwar schnell, bevor das Schiff unterging.
Ich handelte spontan und ohne jede Eleganz. Ich hastete übers Deck, paßte meinen Lauf den ruckartigen Bewegungen des Schiffes an, packte den ersten Kerl am Hals, schüttelte ihn wie eine ersoffene Ratte und trat nach seinem Gefährten, der schreiend zurückwich. Ich brachte die Lippen nahe an sein Ohr heran.
»Der Schlüssel!« brüllte ich. »Wo ist der Hauptschlüssel für die Sklavenketten?«
»Bei Goyt!« stotterte er. »Du bist verrückt!«
»Der Schlüssel, du Cramph, aber schnell, bevor ich dir das Genick breche!«
Vier Mann der Besatzung versuchten, sich vom Schanzkleid zu lösen. Sie verdrehten die Augen so weit, daß sie weißen Murmeln ähnelten. Ich schüttelte den Burschen erneut, und er gurgelte.
Neben dem zerschmetterten Langboot lag ein Haufen nasser Kleidungstücke. Ich stieß den Kerl beiseite, stürzte mich auf das Bündel und trat Gewänder, Kettenhemden und Schwerter beiseite. Der Schlüssel mußte da sein!
»Grotal der Verkleinerer soll dich holen!« kreischte ein Seemann. Er klammerte sich an einen Pfosten und rührte sich nicht von der Stelle. Wir wurden von Seewasser überschüttet. Ich suchte in rasender Eile weiter, während nasse Kleidungsstücke fortgespült wurden. Das Schiff bewegte sich inzwischen noch schwerfälliger. Es wälzte sich wie eine schwangere Ente durch die See. Breite Sturzbäche flossen übers Deck. Rot und grün gefärbte Schatten huschten über die Aufbauten; Zwillingsschatten, die von Zim und Genodras erzeugt wurden, den Sonnen Scorpios.
Mein Blick fiel auf einen Eisenring. Ich schnappte ihn mir, und Schlüssel klirrten.
Ohne einen Blick an die Besatzung zu verschwenden, packte ich den Schlüsselring und stürzte zur Luke. Der nächste Wasserschwall verlieh mir zusätzliche Geschwindigkeit.
Ich fiel förmlich die Leiter hinunter. Der Tote lag zusammengesunken an ihrem Ende; ich sprang über ihn hinweg und nahm mir in diesem Augenblick die Zeit, ein hastiges »Möge Zair dich aufnehmen!« zu murmeln.
Der erste Schlüssel – der größte – paßte nicht. Ich nahm den zweiten und rüttelte ihn verzweifelt. Er drehte sich, das Schloß ging auf.
Ich zog mit aller Kraft, und die Krampe kam frei. Der erste Sklave in unmittelbarer Nähe wand sich am Boden, seine Ketten hatten sich verfangen. Ich packte seine Schultern, zog ihn hoch, ordnete das Durcheinander und zog die Hauptkette durch die Ösen.
Ein großer Bursche mit dichtem, schwarzem Vollbart rief: »Pur Dray! Bei Zim-Zair! Pur Dray, so wahr ich atme und lebe!«
»Lahal, Pur Zanad«, rief ich zurück. »Um Zairs Willen, bring die Leute auf Trab. Hilf mir mit der Kette!«
Er verschwendete keine Worte, löste seine Fesseln von der Hauptkette und half mir, einen Sklaven nach dem anderen zu befreien.
Ein anderer Bursche mit dunklem, lockigem Haar und Schnurrbart rief: »Pur Dray!« Er sprang geschmeidig und munter von seiner Bank.
»Lahal, Pur Thazdon! Hilf mit!«
Nun ergriffen die Sklaven selbst die Initiative; sie verhielten sich auf typische Weise. Diejenigen, die nichts anderes als die Sklaverei kannten und erwarteten, ihr Leben lang Sklave zu sein, stießen einander schreiend zur Seite und stürzten wild auf die Leiter zu. Die Kriegsgefangenen, die man zu Sklaven gemacht hatte, blickten sich aufmerksam um, bereit, die beste Möglichkeit beim Schopf zu ergreifen. Die Leiter wurde von einer wie verrückt um jeden Zentimeter kämpfenden Menschenmasse belagert.
»Nach vorn!« brüllte Zanad. Er lief los. Wir folgten ihm, und ich entdeckte mehr als nur ein bekanntes Gesicht. Diese Männer waren Krozair-Brüder, die berühmtesten aller Korsaren des Binnenmeers, dem Auge der Welt in Turismond. Offenbar hatte man sie nach einer verlorenen Schlacht gefangen genommen.
Dann fiel mein Blick auf drei bestimmte Menschen, und ich
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