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43 Gründe, warum es AUS ist

Titel: 43 Gründe, warum es AUS ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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jetzt keine Zeit. Sie zieht sich die Handschuhe an. Benimm dich völlig normal. Mach einfach das Foto. Sonst können wir nie wissen, ob sie’s ist.«
    »Okay, okay. Drücken Sie Knopf A, um den Film zu spannen.«
    »Ed, sie geht los.«
    »Warte.« Du hast gelacht. »Sag ihr, sie soll warten.«
    »Wie? Etwa so: Warten Sie, wir glauben, dass Sie ein Filmstar sind, und wollen ein Foto von Ihnen machen, um ganz sicher zu gehen? Ich mach’s, gib mir mal das Ding.«
    »Min.«
    »Das ist doch sowieso meins, du hast es doch für mich gekauft.«
    »Ja, aber –«
    »Du meinst wohl, Mädels können mit einer Kamera nicht umgehen, wie?«
    »Ich glaube, du hältst sie verkehrtrum.«
    Zehn Schritte weiter die Straße hinunter. Noch mehr Gelächter.
    »Okay, jetzt. Sie biegt ab.«
    »Richten Sie das Objektiv auf Ihr Motiv, sodass es im Sucher erscheint …«
    »Mach das Ding auf.«
    »Wie denn?«
    »Gib’s mir zurück.«
    »Ah, jetzt hab ich’s. So. Na also. Und nun? Warten. Okay, ja.«
    »Ja?«
    »Ich glaub schon. Irgendwas hat da gerade klick gemacht.«
    »Du solltest dich mal hören – irgendwas hat da gerade klick gemacht. So willst du reden, wenn du mal Regisseurin bist?«
    »Dafür hab ich dann meine Leute. Irgendeinen ausgedienten Basketballer zum Beispiel.«
    »Hör auf.«
    »Okay, okay. Und jetzt den Film weitertransportieren, stimmt’s?«
    »Äh –«
    »Nun komm schon, schließlich bist du doch so ein Mathe-Genie.«
    »Hör auf damit, und außerdem geht es hier nicht um Mathe.«
    »Ich mach noch eins. Da, an der Bushaltestelle.«
    »Nicht so laut.«
    »Und noch eins. Okay, du bist dran.«
    »Ich bin dran?«
    »Du bist dran, Ed. Mach auch welche.«
    »Okay, okay. Wie viele sind auf dem Film?«
    »Mach einfach so viele, wie’s geht. Dann lassen wir den Film entwickeln, und dann sehen wir ja, wie viele es sind.«
    Doch dazu ist es nie gekommen. Hier ist das noch immer unentwickelte Filmröllchen mit all seinen Geheimnissen. Ich bin nie in einen Fotoladen damit gegangen, sondern habe es einfach in meiner Schublade liegen lassen, wo es von Stars träumen konnte. Das war unsere Zeit, als wir rausfinden wollten, ob Lottie Carson die war, für die wir sie hielten – die vielen Schnappschüsse, das Gelächter, in das wir ständig ausbrachen, die Küsse mit offenem, lachendem Mund. Nur zu Ende gebracht haben wir die Sache nie. Wir hätten noch so viel Zeit, dachten wir, als wir ihr hinterherrannten und im letzten Moment den Bus erwischten, uns die Hälse verrenkten beim Versuch, ihr Grübchen zu sehen, vorbei an zankenden Krankenschwestern mit Häubchen und Müttern, die telefonierten, während ihre kleinen Kinder im Buggy saßen, halb begraben unter Einkaufstüten vom Supermarkt. Wir landeten in einer Gegend, in der ich nie zuvor gewesen war, und versteckten uns hinter Briefkästen und Laternenpfählen, immer mit einem halben Block Abstand. Der Himmel verdunkelte sich bei unserem allerersten Date, und die ganze Zeit dachte ich, wir würden den Film später entwickeln lassen. Wir inspizierten den Briefkasten, hofften auf ein Schildchen mit dem Namen Lottie Carson, du bist über den Zaun geklettert und zum reich verzierten, aber verwitterten Hauseingang gesprintet, der perfekt zu ihr passte, während ich mit den Händen am Zaun gewartet und dir zugesehen habe, wie du hin und zurück gehechtet bist. Gerade mal fünf Sekunden hast du gebraucht, um über den schmiedeeisernen Zaun mit den Spitzen zu kommen, von denen mir die Finger kalt wurden, husch, husch warst du durch den Garten mit seinen Gnomen und Melkerinnen und Fliegenpilzen und Madonnen und was weiß ich noch, die alle wie eine ausgetrickste gegnerische Mannschaft dastanden. Regelrecht hindurchgeflogen bist du zwischen all diesen totenstillen Statuen, und wenn ich könnte, würde ich sie dir alle vor deine gottverdammte Haustür knallen, so laut, wie du leise warst, so wütend, wie wir aufgekratzt waren, so kalt und verächtlich, wie ich erhitzt und atemlos war, als ich dir dabei zusah, wie du auf der Suche nach Beweisen ums Haus geschlichen und achselzuckend und mit leeren Händen zurückgekommen bist, sodass wir immer noch nicht mehr wussten, immer noch nicht sicher sein konnten, jedenfalls nicht, solange nicht alle Bilder entwickelt waren. Lange Küsse in der letzten Reihe im Bus, auf der langen Fahrt nach Hause als einzige Passagiere eines Busfahrers, der stur geradeaus blickte, weil er wusste, wir gingen ihn nichts an; noch mehr Küsse an der Haltestelle, wo wir

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