44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
stand im nächsten Augenblick vor der Tür der Nebenzelle. Sie mußte alle ihre Kräfte anstrengen, um die alten rostigen Riegel zu entfernen, und als dies geschehen war, flog Emma ihr entgegen.
„Du hast Waffen und Licht, du bist frei!“ rief diese.
„Ich bin bewaffnet, aber noch nicht frei“, antwortete die Indianerin. „Du riefst. Wußtest du, daß ich hier in der Nähe war?“
„Ich hörte zwei Stimmen, eine männliche und eine weibliche, und dachte, die letztere müßte die deinige sein. Dann fiel ein Schuß. Wer hat geschossen?“
„Ich. Ich habe Pardero erst die Kinnlade zerschmettert und ihn dann mit dem Messer erstochen.“
Sie erhob die vom Blut gerötete Klinge. Emma schauderte.
„Mein Gott, das ist furchtbar!“ hauchte sie.
„Furchtbar?“ fragte Karja. „O nein; es war Notwehr, und er hat seinen Lohn. Aber wir müssen unsere Zeit benutzen. Einschließen lassen wir uns nicht wieder. Kannst du mit einem Revolver umgehen?“
„Ja. Vater hat es mich gelehrt.“
„Hast du eine Waffe?“
„Dieses Messer, ich habe es Verdoja entrissen.“
„Gut, ich sehe, daß auch du mutig sein kannst. Hier hast du den einen Revolver. Wer uns anrührt, der wird erschossen. Jetzt komm, wir wollen den Gang untersuchen!“
Sie schritten in den düsteren Gang hinein, der Richtung entgegen, aus welcher sie gekommen waren. Der Gang war eng und niedrig, und die Luft in demselben dick und modrig. Karja ging voran. Plötzlich blieb sie stehen und stieß einen Ruf der Freude aus.
„Was ist's?“ fragte Emma.
„Ein glücklicher Fund!“ antwortete die Indianerin. „Wir werden nicht im Finstern bleiben und brauchen auch nicht zu hungern. Sieh hierher!“
Bei der Aufmauerung des Ganges war ein tiefes, viereckiges Loch freigelassen worden, und in demselben lag ein Vorrat von Tortillas, wie der Mexikaner seine flachen Maiskuchen nennt, und dabei stand eine große, gefüllte Flasche, deren Inhalt sich beim Schein der Laterne als Öl erwies.
„Welch ein Glück!“ sagte Emma. „Ich sollte verhungern!“
„Das wirst du nicht. Wir haben diese Kuchen, und ich besitze außerdem die Provianttasche, welche ich Pardero abgenommen habe. Komm weiter!“
„Aber ist es nicht gefährlich, in diese Gänge einzudringen?“
„Warum?“
„Wir verirren uns vielleicht immer weiter in das Innere hinein.“
„Nein. Ich weiß ganz genau, daß wir aus dieser Richtung gekommen sind. Es waren mir zwar die Augen verbunden, aber ich habe gefühlt, daß die Tür meines Gefängnisses nach der Seite zu aufging, von welcher wir kamen.“
Sie schritten langsam weiter und gelangten schließlich an eine Tür, an welcher sich ein sehr schwerer, eiserner Riegel befand, der aber, wie man leicht sehen konnte, vor ganz Kurzem neu eingeölt war. Die Tür war nur angelehnt, und als sie dieselbe zurückstießen, traten sie in einen zweiten Gang, welcher zu ersterem einen rechten Winkel bildete.
Karja war vorsichtig und untersuchte zunächst die Tür. Diese zeigte auch auf der anderen Seite einen Riegel, konnte also von innen und außen verschlossen werden.
„Das war alles wohl überlegt“, sagte sie. „Dieser äußere Riegel diente dazu, den Gang, in welchem sich unsere Zellen befinden, abzuschließen, und der innere hatte den Zweck, alle Störung abzuhalten, wenn unsere beiden Anbeter uns besuchten.“
„Ich schaudere“, gestand Emma. „Welches Schicksal stand uns bevor.“
„Das ist glücklich abgewendet.“
„Aber was nun weiter?“
„Ich hoffe von neuem, Sternau wird uns folgen und unser Gefängnis vielleicht entdecken. Wir haben Waffen, Munition, Öl und Proviant. Wir werden uns wehren und uns nicht ergeben. Wüßte ich nur, wohin wir uns zu wenden haben, ob nach rechts oder nach links.“
„Horch!“
Auf diesen leisen Zuruf Emmas lauschten beide in den Gang hinein. Sie hörten das Geräusch von Schritten, welche sich von fern her näherten.
„Zurück! Wir verschließen die Tür!“ gebot Karja.
Sie schlüpften schnell zurück, zogen die Tür an sich und schoben den Riegel vor. Die Schritte näherten sich und – gingen draußen vorüber; man machte keinen Versuch, die Tür zu öffnen, nur ein leiser Schlag geschah gegen dieselbe, als ob man probieren wolle, ob sie offen sei oder nicht.
„Das waren mehr als ein Mann“, flüsterte Emma.
„Ja, das schienen sogar vier Personen zu sein“, antwortete Karja.
„Ich glaube, es waren Verdoja und der Wärter, welche Señor Mariano und Señor Helmers gebracht
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