44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
Wächter und Pardero nahm dem Mädchen nun die Binde ab, auch entfernte er ihr die Fesseln von den Händen, sodaß sie sich nun im freien Gebrauch ihrer Glieder befand. Er hatte die Laterne bei sich behalten und betrachtete das schöne Mädchen mit begierigen Blicken.
„Nun bist du mein, und kein Mensch soll dich mir entreißen“, sagte er. „Du hast dich nur zu entscheiden, ob du meine Liebe freiwillig oder gezwungen erwidern willst.“
Ihre Augen funkelten, aber nicht in süßem Verlangen nach seiner Zärtlichkeit, sondern vor Stolz und Zorn. Sie, die Tochter eines berühmten Häuptlings, die Schwester des wenigstens ebenso berühmten ‚Königs der Ciboleros‘ fürchtete sich vor dem einhändigen Leutnant nicht im mindesten.
„Feigling!“ antwortete sie im Ton der tiefsten Verachtung.
„Feigling?“ fragte er lachend. „Haben wir euch nicht besiegt? Haben wir euch nicht gefangengenommen und bis hierher gebracht?“
„Gefangengenommen durch Hinterlist, als wir schliefen. Ein Mann kämpft nicht mit Weibern. Ist euch nicht Sternau entkommen? Er war ein Mann, und ihr konntet ihn nicht halten. Ihr seid wie die Präriewölfe, welche nur des nachts und mit Übermacht nach Beute gehen, aber vor Angst heulen, wenn sie einen Schuß fallen hören. Ich bin ein Mädchen, aber ich fürchte dich weniger als einen Hasen oder als einen Käfer, welcher mich umsummt, den ich aber zwischen den Spitzen meiner Finger zu zerquetschen vermag.“
Diese Worte waren in einem so verächtlichen Ton gesprochen, daß selbst ein so ehrloser Mensch wie Pardero darüber zornig wurde.
„Schweig!“ rief er. „Du befindest dich in meinen Händen, und es kommt nun ganz auf dein Verhalten an, ob ich dich zermalme oder deine jetzige Lage verbessere.“
„Mich zermalmen?“ antwortete sie. „Pah, du bist nicht der Mann, die Schwester ‚Büffelstirns‘ zu zermalmen. Du wärst verloren, sobald du mich nur anrührtest!“
Sie stand mit drohend erhobenem Arm vor ihm und war in dieser gebieterischen Stellung so schön, daß alle seine Sinne entbrannten. Er trat auf sie zu und streckte die beiden Arme, die unverletzte Linke und den umwickelten Stumpf der Rechten nach ihr aus, als ob er sie an sich ziehen wolle. Sie wußte, welchen Rat sie Emma erteilt hatte; es war ihr darum zu tun, eine Waffe in ihre Hand zu bekommen, und die mutige Indianerin bebte vor einem Angriff keineswegs zurück. Sie trat einen Schritt vor, fuhr mit blitzesartiger Schnelligkeit mit beiden Händen nach dem Gürtel Parderos und entriß ihm das Messer und den Revolver, ehe er es zu verwehren vermochte. Zugleich gab sie ihm einen so kräftigen Stoß, daß er bis an die Tür zurückflog, und nun richtete sie den Lauf ihrer Waffe gegen ihn, während der scharfe Stahl des Messers in ihrer Linken blinkte.
„Bestie!“ rief Pardero. „Warte, ich werde dich zähmen!“
Er wollte auf sie eindringen.
„Keinen Schritt weiter!“ rief sie ihm entgegen.
„Pah, ein Mädchen schießt nicht sogleich!“ lachte er.
Er hatte die Laterne bereits vorhin zur Erde gesetzt und sprang jetzt auf Karja ein. Da krachte auch bereits ihr Schuß und mit einem lauten Schmerzgebrüll fuhr er sich an den Mund. Ihre Kugel hatte ihm die Kinnlade zerschmettert und die Zunge verwundet. Er stand einige Momente lang brüllend da, dann aber drang er von neuem auf sie ein.
„Satan, das sollst du mir entgelten!“ rief er mit lallender Stimme, da er nun nicht mehr richtig zu sprechen vermochte.
Er drang, während er die linke Hand an die Wunde hielt, mit der rechten auf sie ein, aber da diese nur aus dem Stumpf bestand, so vermochte er nicht, das Mädchen zu packen. Da blitzte das Messer in ihrer Hand und senkte sich mit fürchterlicher Schnelligkeit ein, zwei, drei Mal bis an das Heft in die Brust des Angreifers.
„O Dios!“ rief er und taumelte.
„Gehe zur Hölle!“ antwortete sie.
Zum vierten Mal fuhr das Messer ihm zwischen die Rippen, und erst jetzt traf es das Herz, sodaß Pardero in die Knie sank und dann nach hinten auf das Lagerstroh stürzte. Im Nu kniete das tapfere Mädchen neben ihm. Sie entriß ihm den zweiten Revolver, den Munitionsbeutel, die Uhr, die Provianttasche, welche über die Achsel herab an einem Riemen an seiner Seite hing, und nahm überhaupt alles an sich, was er bei sich trug.
Da hörte sie nebenan ein lautes Pochen.
„Wer klopft, wer ist da?“ fragte sie.
„Ich, Emma!“ antwortete es dumpf.
Karja stieß einen Jubelruf aus, ergriff die Laterne und
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