44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
Der Diener folgte ihm, die Tür schloß sich hinter ihnen, und Emma hörte draußen die mächtigen Riegel klirren, welche sich vor die Tür legten, um eine Flucht unmöglich zu machen.
Da stak sie, die an Freiheit, Liebe und den feinsten Genuß Gewöhnte, in der engen, dunklen Felsenkammer. Stroh war ihr Lager und schmutziges Wasser ihr Getränk. Frische Luft konnte nicht in den elenden Raum dringen, und zum Hunger war sie verurteilt. Das Stück Maisbrot, welches neben dem Wasserkrug lag, konnte nur für eine sehr kurze Zeit hinreichen.
Sie hatte während des weiten Rittes Gelegenheit gehabt, einige Worte ungehört mit Karja zu wechseln, und war dabei von der Indianerin darauf aufmerksam gemacht worden, sich womöglich eine Waffe zu verschaffen, um den tätlichen Angriffen, welche ihnen beiden bevorstanden, widerstehen zu können. Diesen guten Rat hatte Emma befolgt; sie befand sich jetzt im Besitz eines Messers und hatte auch bereits die Erfahrung gemacht, welchen Nutzen ihr dasselbe bringe. Sie hielt den Griff noch fest mit ihrer kleinen, zarten Faust umspannt und war entschlossen, es sich nicht wieder entringen zu lassen; viel eher wollte sie es sich in das eigene Herz stoßen.
Aber der weite Ritt und der letzte Auftritt hatten ihre Körper- und Seelenkräfte so angestrengt, daß sie auf das Lager niederglitt und ihren Tränen freien Lauf ließ. Sie befand sich tief unter der Erde als Opfer der Lüste eines gefühllosen Bösewichts und hatte keine Hoffnung, als nur die, daß es Sternau gelingen werde, ihre Spuren zu verfolgen und den Mördern zu entkommen, welche ihm auflauerten, um ihn zu ergreifen oder zu töten. –
Verdoja kehrte mit seinem Diener zurück zu denen, welche vor der Pyramide auf ihn warteten. Die Pyramide, ein Überrest alter, mexikanischer Baukunst, war aus Backsteinen auf einem Felsengrund errichtet. In diesem Grund hatte man vor Beginn des Baues zahlreiche Kammern ausgebrochen und sie durch Gänge verbunden. Auch die Pyramide war durch solche Gänge durchbrochen, in denen die Fürsten und Priester des untergegangenen Reiches ihre Geheimnisse bewahrt und ihre Orgien gefeiert hatten. Die Backsteine waren unter dem Einfluß der Jahre zerbröckelt, und Pflanzen hatten ihre Wurzeln immer tiefer in die entstehenden Ritze getrieben. Das hatte den Bau noch mehr gelockert. Seine Spitze war verwittert und von den Stürmen nach und nach abgeweht worden, und heute hatte er das Aussehen eines pyramidalen Hügels, der von seinem Fuß bis hinauf zur Höhe mit Gesträuch bedeckt war.
Aber in das Innere hatten Sturm und Regen nicht zu dringen vermocht; da waren die Kammern und Gänge noch ganz wohl erhalten und besaßen ganz dieselbe Festigkeit, welche sie seit Jahrhunderten besessen hatten. Der alte Bau lag inmitten der Ländereien, welche Verdojas Vorfahren gehörten. Einer derselben hatte lange vergebens nach einem Zugang zum Inneren der Pyramide gesucht, ihn endlich aber doch unter Stein- und Ziegeltrümmern gefunden. Er war darüber nicht mitteilsam gewesen, und so hatte sich das Geheimnis nur in der Familie fortgeerbt.
Seit dieser Zeit war im Inneren der Pyramide manches und vieles geschehen, was sich dem Tageslicht und dem Auge des Gesetzes entziehen mußte, und der Diener, welcher Verdoja und Emma geführt hatte, war der Wächter des alten Bauwerkes und Vertraute seines gegenwärtigen Herrn. Beide hüteten ihr Geheimnis mit sorgfältigster Verschwiegenheit und wußten, daß sie sich aufeinander verlassen konnten.
Nachdem Verdoja aus der Pyramide zurückgekehrt war, wurde Karja, die Indianerin, vom Pferd losgebunden. Man verhüllte ihr die Augen, und ganz dasselbe geschah auch mit Leutnant Pardero. Dieser sträubte sich dagegen, mußte es sich aber doch gefallen lassen, da Verdoja ihm sagte, daß er den Eingang zur Pyramide keinem einzigen Menschen zeigen werde. Im Inneren angelangt, könne Pardero die Binde abnehmen und ungehindert umherstreifen, nur der Eingang müsse ihm wie jedermann verborgen bleiben.
Der Wächter ergriff das Mädchen, und Pardero wurde von Verdoja geführt. Sie gelangten wieder an die Zelle, in welcher Emma steckte. Neben derselben gab es eine ähnliche, welche geöffnet wurde, um die Indianerin unterzubringen.
„Ich gehe einstweilen“, sagte Verdoja zu Pardero, „um die anderen Gefangenen einzuquartieren. Sehen Sie, wie Sie mit ihr fertig werden. Sind Sie zu Ende, so brauchen Sie am Ausgang des Ganges nur zu rufen oder zu warten.“
Er entfernte sich mit dem
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