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44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens

44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens

Titel: 44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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aufbrach, mündete der Paß in eine weite Ebene, welche aus fruchtbaren Weiden bestand. Es wurden Wege eingeschlagen, auf denen man niemanden begegnen konnte; der Tag verging, ohne daß man eine Hacienda erblickte, obwohl man die Nähe derselben vermuten konnte, und als die Dunkelheit hereinbrach, hielt man vor einer hohen, mächtigen, pyramidenförmigen Masse, deren Fuß von Felsentrümmern und Sträuchern eingefaßt war. Verdoja steckte den Finger in den Mund und stieß einen Pfiff aus. Sofort raschelte es in den Büschen, und ein Mann trat hervor.
    „War mein Bote bei dir?“ fragte Verdoja.
    „Ja, Señor“, antwortete der Mann. „Er brachte mir Ihren Brief, und es ist alles vorbereitet. Auch Licht habe ich.“
    „So führe mich. Die anderen warten hier, bis ich zurückkehre!“
    Er trat zu Emma und band ihr die Arme auf den Rücken; band sie vom Pferd los, hob sie herab und schob sie zwischen die Büsche hinein. Sie ließ es geschehen, denn sie sah ein, daß Widerstand vergeblich sein würde.
    Jetzt wurden ihr die Augen verbunden, und Verdoja nahm sie auf den Arm. Sie wurde von ihm getragen. Sie hörte an dem dumpfen Ton seiner Schritte, daß sie sich in einem Gewölbe befanden. Sie fühlte, daß es bald auf- und bald abwärts ging; die Luft wurde immer dumpfiger. Endlich knarrte eine Tür, und eine kurze Zeit darauf ließ Verdoja sie auf ihre Füße nieder.
    Als er ihr die Binde von den Augen nahm, sah sie, daß sie sich in einer Felsenkammer befand, welche ungefähr acht Fuß lang, sechs Fuß breit und sieben Fuß hoch war. Sie enthielt nichts als ein Strohlager, einen Wasserkrug, ein Stück trockenes Brot und zwei Ketten, eine jede in eine der Längsseiten befestigt. Verdoja hatte eine Laterne in der Hand. Der Führer hatte sich von der mit Eisen beschlagenen Tür zurückgezogen.
    „Jetzt sind wir an Ort und Stelle“, sagte Verdoja triumphierend. „Du wirst nie fliehen können, darum werde ich dir die Fesseln abnehmen.“
    Er tat es und ließ dabei sein gesundes Auge mit gierigem Blick über ihre schöne Gestalt gleiten.
    „Aber, Señor, was habe ich Ihnen getan“, hauchte das unglückliche Mädchen voller Angst, „daß Sie mich rauben und an einen solchen Ort bringen?“
    „Mein Herz hast du mir geraubt“, antwortete er. „Und dieses Herz will nun befriedigt sein! Hier ist die Kammer der Liebe, in welcher bereits der Widerstand mancher Schönheit gebrochen wurde. Auch du wirst lernen, meine Liebe zu erwidern.“
    Er streckte den Arm aus, um sie an sich zu ziehen. Sie wich erschrocken zurück.
    „Niemals, du Bösewicht!“ rief sie, sich in die hinterste Ecke lehnend.
    „Und doch! Das werde ich dir sofort zeigen!“
    Er trat abermals näher. Da fuhr sie mit der Hand nach seinem Gürtel und entriß ihm sein Messer. Sie zückte es gegen ihn und gebot entschlossen:
    „Zurück, sonst wehre ich mich!“
    Er erschrak wirklich und trat zurück; dann aber stieß er ein kurzes, höhnisches Lachen aus und sagte:
    „Ein Messer in dieser Hand ist mir nicht gefährlicher als eine Nadel. – Gib her!“
    Er wollte zugreifen und setzte deshalb, da er nur eine Hand hatte, die Laterne zur Erde nieder. Sie hob das Messer zum Stoß und rief:
    „Ich bin ein schwaches Mädchen, aber Sie haben nur eine Hand. Wagen Sie es nicht, mich anzurühren!“
    Er zauderte doch. Da aber trat der Führer aus dem Gang herbei und unter die Tür. Er hatte also das ganze Gespräch gehört.
    „Soll ich Ihnen beistehen, Señor?“
    „Ja“, antwortete Verdoja. „Komm her und nimm ihr das Messer ab!“
    Emma erkannte, daß sie sich zweien gegenüber nicht verteidigen könne, aber sie gab doch die Hoffnung nicht auf, den rohen Angriff zurückzuweisen. Sie setzte sich selbst das Messer an die Brust und drohte:
    „Wagt es, mich anzurühren, so töte ich mich selbst!“
    Der Ausdruck ihres Gesichtes war bei diesen Worten ein so entschlossener, daß Verdoja einsah, daß es ihr vollständiger Ernst sei, sich das Messer in das Herz zu stoßen. Dies lag aber ganz und gar nicht in seiner Absicht. Er wollte das schöne Mädchen lebendig besitzen, aber nicht tot. Darum hielt er den Diener, welcher seine Hand nach ihr ausstreckte, ab und sagte:
    „Laß sie jetzt! Sie ist mir sicher. Der Hunger ist ein harter Gast, er wird ihren Willen rasch brechen. Sie erhält von heute an nichts mehr zu essen, bis sie mich selbst auffordert, ihr meine Liebe zu erweisen. Wir wollen gehen!“
    Er nahm die Laterne vom Boden auf und verließ das Gefängnis.

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