44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
der Mexikaner stets bei sich führt.
Erst als die Leiche bei der Parderos lag, riefen sie die Damen hervor und erzählten ihnen, welches Mißgeschick sie gehabt hatten.
„Der Mann schien nicht furchtsam zu sein“, sagte Karja. „Señor Helmers hat Seemannshände und wird ihn erdrückt haben.“
„Fällt mir nicht ein! Er mag ohne Furcht gewesen sein“, antwortete Helmers, „aber er war kein guter Mensch und hatte ein böses Gewissen. Wer aber dieses hat, der kann ganz leicht bis zum Tod erschrecken. Ich weiß, wie eine Menschengurgel zu behandeln ist, darauf können Sie sich verlassen. Doch streiten wir uns nicht. Wir wollen sehen, ob dieser Mensch uns den Weg offen gelassen hat.“
Sie brachen auf und traten in den Quergang hinaus. Demselben nach rechts hin folgend, denn aus dieser Richtung war der Wärter gekommen, trafen sie auf eine offenstehende Tür, welche in einen weiteren Querkorridor führte. Als sie demselben nach rechts hin folgten, kamen sie an eine Felsenwand, hier ging es nicht weiter. Sie kehrten zurück und durchschritten die linke Hälfte des Korridors. Da erreichten sie eine Tür, welche durch zwei Riegel verschlossen war. Sie schoben dieselben zurück, aber die Tür war nicht zu öffnen.
„Auch sie hat ein Geheimnis“, meinte Helmers enttäuscht.
„Wahrscheinlich“, antwortete Mariano. „Suchen wir!“
Sie wendeten all ihren Scharfsinn auf, sie suchten und probierten stundenlang, aber vergebens. Sie strengten ihre Kräfte an, um die Tür aus ihren Angeln zu drücken, doch auch dies gelang ihnen nicht.
„Unsere Mühe ist umsonst“, sagte Mariano. „Wir müssen einen zweiten Überfall versuchen.“
„Auf wen?“ fragte Emma.
„Auf Verdoja.“
„Ja, er hat recht“, sagte Helmers. „Wenn der Wächter Pardero nicht bringt, so wird Verdoja annehmen, daß beiden ein Unglück widerfahren sei. Er wird dann nach der Pyramide kommen, und wir lauern ihm auf dieselbe Weise auf wie seinem Diener.“
„Aber wenn Sie auch ihn totdrücken!“ meinte Emma.
„Fällt mir gar nicht ein. Ich werde ihn gar nicht bei der Gurgel fassen. Wir zwei sind stark genug, ihn festzuhalten, dann rufen wir die Damen herbei, die ihn binden, während wir dafür sorgen, daß er sich nicht wehren kann. Um sein Leben zu retten, wird er uns die Freiheit geben müssen.“
„Das ist der einzige Weg, zu unserer Freiheit zu gelangen“, stimmte Mariano bei. „Kehren wir nach unserem Gang zurück.“
„Zunächst haben wir noch Zeit“, sagte Karja. „Jetzt wird der Wächter noch nicht erwartet, und bis Verdoja besorgt wird, können immerhin einige Stunden vergehen.“
„So mögen die Damen zu schlafen versuchen, während wir wachen.“
Das wurde angenommen. Aber da die Mädchen sich vor den beiden Leichen scheuten, so schlugen sie ihr gemeinschaftliches Lager in der Zelle auf, in welcher Mariano angefesselt gewesen war, und erhielten die brennende Laterne hinein. Mariano und Helmers aber nahmen ihre Posten an der Tür ein, an welcher sie bereits den Wärter ergriffen hatten. Dort konnten sie Verdoja am sichersten erwarten. –
Dieser hatte unterdessen keine Ahnung von dem Schicksal, welches ihm bei seiner Rückkehr nach der alten Opferstätte bevorstand. Er war mit den Mexikanern, wie der Wärter erzählt hatte, nach der Hacienda geritten. Diese war sein väterliches Erbe und gehörte zu den ungefähr sechzig Landgütern, welche der mexikanische Staat Chihuahua mit der Hauptstadt gleichen Namens aufzuweisen hat.
Die Hacienda Verdoja lag zwei Tagereisen von der Hauptstadt entfernt, nach Mexiko aber hatte man über eine Woche lang zu reiten. Darum waren die Vorfahren Verdojas echte Hazienderos gewesen, welche sich nur der Viehzucht gewidmet hatten, der Politik aber fremd geblieben waren. Er war der erste, welcher dieses Prinzip aufgegeben hatte. Er war ehrgeizig und wollte eine Rolle spielen, das ist in Mexiko, dem Land der Parteigänger, leicht, aber auch schwer. Er hatte eine Ahnung gehabt, daß Juarez zur einstigen Größe berufen sei, und sich ihm angeschlossen; er hatte es unter diesem kühnen Parteigänger, dessen Zeit damals noch nicht gekommen war, bis zum Rittmeister (Kapitän) gebracht, nun aber hatte dieses Debüt ein schmähliches Ende gefunden, denn daß Juarez von ihm nichts mehr wissen möge, das konnte er sich denken.
Es war sehr spät, als er die Hacienda erreichte, und niemand hatte ihn erwartet. Er hatte zwar einen Boten gesandt, um dem Wächter Befehle bezüglich der zu
Weitere Kostenlose Bücher