44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
erwartenden Gefangenen zu geben, aber dieser Wächter hatte zugleich die Weisung erhalten, gegen jedermann zu schweigen. Darum befand sich bei seiner Ankunft alles im tiefsten Schlaf, und er mußte einige Vaqueros wecken, welche den Befehl erhielten, vor allen Dingen seine bisherigen Begleiter mit frischen, kräftigen Pferden zu versehen. Als dies geschehen war, sprengten die Mexikaner in die Nacht hinaus, derselben Richtung zu, aus welcher sie gekommen waren. Sie waren vollkommen überzeugt, Sternau zu fangen oder zu töten und also den versprochenen Lohn zu erhalten.
Erst jetzt konnte Verdoja an seine eigene Pflege denken. Er war noch unverheiratet, hatte aber eine entfernte Verwandte auf der Hacienda, welche als Dame des Hauses figurierte. Sie empfing ihn mit Überraschung. Sie wußte nicht anders, als daß er sich bei Juarez im Süden Mexikos befinde, und war daher erstaunt, ihn bei Nacht und Nebel ankommen zu sehen. Ihr Staunen aber verwandelte sich in Schreck, als sie bemerkte, daß ihm die rechte Hand fehlte. Sie wollte eine große Beileidsrede beginnen, er aber schnitt ihr dieselbe barsch ab und befahl ihr, ein Abendbrot zu bringen.
Während des Essens teilte er ihr mit, daß noch ein Gast komme, ein Señor Pardero, den der Wächter bringen werde. Auch für diesen sei ein Zimmer und ein Nachtmahl bereit zu halten. Dann begab er sich, ermüdet wie er war, zur Ruhe. –
Als er erwachte, war der Morgen bereits vorgeschritten, und die alte Señora stand mit der Schokolade bereit. Während er dieselbe wortlos verzehrte, sagte sie ihm, wie gut es sei, daß er auf der Hacienda eingetroffen sei. Die Revolution hatte auch die Bevölkerung des sonst so ruhigen Staates Chihuahua ergriffen und der Gouverneur hatte daher um militärische Unterstützung nach Mexiko geschrieben. Infolge dieses Berichtes waren mehrere Schwadronen Reiter nach Chihuahua detachiert worden, welche nun die Gegend durchzogen und allen Feinden der gegenwärtigen Regierung ihre Oberhand fühlen ließen.
Nun war es zur Genüge bekannt, daß Verdoja zu diesen Feinden gehöre, er diente ja unter Juarez, und darum hatte man auf der Hacienda bereits längst einen Besuch der Truppen erwartet und gefürchtet.
Verdoja hörte schweigsam zu und äußerte kein Wort darüber, ob diese Nachricht ihm Sorge bereite oder nicht. Endlich aber fragte er, die leere Tasse fortschiebend:
„Ist Señor Pardero bereits munter?“
„Señor Pardero?“ fragte sie.
„Nun ja, der Señor, den ich gestern noch erwartete.“
„Ah, dieser? Der ist noch gar nicht da.“
„Noch nicht?“ fragte Verdoja erstaunt. „Und der Wächter, der ihn bringen sollte?“
„Den habe ich auch nicht gesehen.“
„Du wirst es verschlafen haben, und man wird sich geholfen haben, wie man konnte.“
Sie machte ein sehr erzürntes Gesicht und sagte:
„Man kann sich hier gar nicht helfen, wie man will. Wenn Gäste kommen, so bin ich es, die zu befehlen hat, und ist es des Nachts, so werde ich sicherlich geweckt. Ich habe aber bis zum Anbruch des Morgens gewacht und vergebens gewartet.“
Er sagte weiter nichts und erhob sich. Er schritt nach dem Hof und befahl, ihm ein Pferd zu satteln. Noch während man damit beschäftigt war, kam einer der Vaqueros herbeigesprengt und meldete, daß eine sehr bedeutende Schar Dragoner im Anritt sei. Er hatte diese Meldung kaum gemacht, so sah man auch bereits die Reiter dahergesprengt kommen. Jetzt war es also keine Zeit, nach der Opferstätte zu reiten.
Verdoja wartete die Ankunft der Dragoner ruhig ab. Sie ritten vor dem Wohnhaus auf. Die Offiziere stiegen ab, und der Befehlshaber, ein Rittmeister, trat herzu. Nach einem leichten, militärischen Gruß fragte er:
„Dies ist die Hacienda Verdoja, Señor?“
„Ja“, antwortete der Besitzer.
„Sie gehört einem Señor gleichen Namens?“
„Ja.“
„Der als Rittmeister unter Juarez dient?“
„Nein.“
Der Offizier blickte Verdoja überrascht an und sagte pikiert:
„Señor, wir sind sehr gut unterrichtet!“
„Ich bezweifle dies“, antwortete Verdoja kühl.
„Señor!“ meinte der Hauptmann, fast drohend.
„Señor!“ meinte Verdoja, überlegen lächelnd.
„Ich weiß zum Beispiel sehr genau, daß Verdoja sich gegenwärtig in Potosí bei Juarez befindet!“
„Ha! Wenn Sie wirklich so gut unterrichtet sind, so bin ich es desto schlechter.“
„Ohne allen Zweifel. Sie sehen ein, daß die Regierung alle Veranlassung hat, diese Hacienda zu berücksichtigen. Ich habe den
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