45 - Waldröschen 04 - Verschollen
öffnete und trat ein, und sie folgte, um sich da von ihm zu verabschieden.
„Weißt du wirklich nicht, was du tun wirst?“ fragte sie ihn.
„Nein. Eigentlich hätte ich meinem Obersten Mitteilung von der Sache zu machen, da dieser aber selbst beteiligt war, so verbietet sich das von selbst. Wir wollen ausruhen, Röschen, dann werden wir uns überlegen, was zu tun ist. Für jetzt danke ich Gott, daß ich dem Tod entgangen bin, dem ich geweiht war. Weißt du, unter welchem Schutz ich in dieser Gefahr gestanden habe?“
„Nun?“
„Unter dem deinigen?“
„O nein“, lächelte sie. „Du hättest ja sogar einen dummen Angstruf fast mit dem Leben bezahlen müssen!“
„Aber ich hatte den Talisman bei mir, den du mir gegeben hast.“
„Ah, meine Schleife! Ja, du warst ein tapferer Ritter und hast die Ehre deines Burgfräuleins gar wacker verteidigt.“
„Was aber soll nun mit dem Talisman werden? Forderst du ihn zurück?“
Sie errötete, sagte aber:
„Das wird sich auch mitfinden, wenn wir ausgeruht haben. Solche wichtigen Dinge müssen genau überlegt sein.“
„Jetzt bist du einmal eine recht böse Rosita!“ schmollte er.
„Warum?“
„Weil du nicht Wort hältst. Du versprachst mir ja die Entscheidung für jetzt. Sie sollte von dem Kampf abhängen.“
„Hm, ja, es ist möglich, daß ich dies gesagt habe. Aber ist es mit dieser Entscheidung denn gar so sehr eilig?“
„Das versteht sich!“ lachte er fröhlich. „Ich muß wissen, ob der Talisman eingelöst werden soll oder nicht.“
„Mit einem Kuß?“
„Ja, mit einem Kuß.“
Sie stand vor ihm so hold und lieblich. Die Morgensonne blickte zum Fenster herein und umarmte das schöne Mädchen mit warmen Strahlen. Waren diese Strahlen schuld oder etwas anderes, daß ihre Augen auf einmal so tief erglänzten und ihre Wangen sich so zauberisch färbten? Waren es diese Strahlen, welche um die schöne jungfräuliche Büste wogten, oder war es ihr Busen, welcher sich hob und senkte?
Da legte sie ihm die Hand auf den Arm und sagte:
„Lieber Kurt, weißt du, daß ich mit dir recht sehr zufrieden bin? Du warst ein wirklicher, echter Held, du konntest beide töten und hast es doch nicht getan. Du hast, um mich zu rächen, dein Leben gewagt, darum will ich den Talisman einlösen, wenn es dir recht ist.“
„Mit einem Kuß?“ fragte er, jetzt beinahe selbst errötend.
„Ja, denn so war es doch ausgemacht.“
„Und jetzt gleich?“
„Natürlich! Du hattest es ja so gar sehr eilig!“
Da griff er in die Brust, zog die Schleife hervor und reichte sie ihr hin.
„Hier ist sie, Rosita.“
„Und hier ist der Kuß!“
Sie legte ihm schnell die kleinen Händchen auf die Achseln, näherte ihr lieblich gespitztes Mündchen seinen Lippen und gab ihm einen Kuß, so fein, so vorsichtig, so leise tastend, wie ein spielendes Kind seine Puppe küßt.
„Ah, das ist ein Kuß?“ fragte er, doch ein wenig enttäuscht.
Er hatte nicht einmal den Arm um sie legen können, so schnell war sie zurückgewichen.
„Ich denke es“, lachte sie schelmisch. „Oder war es etwas anderes?“
„Es war ein Kuß, aber so einer, wie man zum Beispiel eine alte Tante küßt, die eine recht häßliche, lange Nase hat und einige Warzen darauf.“
„Hast du schon viele Tanten geküßt, weil du das so genau weißt?“
„O nein, denn alte Tanten küßt man nicht sehr gern.“
„Wen sonst?“
„Junge, hübsche Röschens!“ antwortete er.
„Geh, das sollst du mir nicht sagen! Dafür muß ich dich bestrafen. Ich mag nun deinen Talisman gar nicht. Hier, nimm ihn wieder!“
Er griff hastig nach der Schleife, legte sie hinter sich auf den Tisch und meinte mit einer sehr wichtigen Miene:
„Aber das geht nicht so schnell!“
„Was denn, lieber Kurt?“
„Die Rücklieferung eines Talismans. In so wichtigen Dingen muß man sehr gerecht und eigennützig handeln.“
„Das bist du ja stets. Aber wie ist das hier gemeint?“
„Du hattest den Talisman bezahlt. Wenn du mir ihn wiedergibst, so bin ich verpflichtet, dir den Preis zurückzuerstatten.“
Er sah sie mit Augen an, wie sie sie bei ihm noch nicht bemerkt hatte. Ihr Herzchen klopfte, es wurde ihr so warm auf der Stirn und an den Schläfen, so heiß auf den Wangen, es war ihr, als ob ihre Knie ein wenig zitterten. Und plötzlich wurde es ihr so rot vor den Augen, noch dunkler und immer dunkler. Sah sie nicht mehr, oder hatte sie die Augen zugemacht? Sie wußte es selbst nicht. Sie fühlte nur, daß
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