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45 - Waldröschen 04 - Verschollen

45 - Waldröschen 04 - Verschollen

Titel: 45 - Waldröschen 04 - Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ich“, sagte sie, als müsse sie sich entschuldigen.
    „Oh, wie ist das so schade“, antwortete er, als habe er ein entsetzlich großes Recht auf ihre Gegenwart.
    Dafür mußte er gestraft werden. Daher entzog sie ihm ihre beiden kleinen Händchen und wandte sich nach der Tür, um zu gehen. Aber der Mensch ist leider so inkonsequent; sie drehte sich gleich wieder herum, gab ihm ihre Hände zurück und meinte:
    „Ich muß aber dennoch gehen, lieber Kurt. Nicht wahr, das siehst du auch ein?“
    Er machte nun zwar ein Gesicht, als ob er das ganz und gar nicht einsehe, aber ein tapferer Ritter gibt seinem Burgfräulein immer recht, er ist ihr dies schuldig, und darum stimmte er so ziemlich bei, indem er antwortete:
    „Ja, liebes Röschen, es scheint mir wirklich so, als ob ich es beinahe einsehe.“
    „Siehst du! So schlafe dich aus. Gute Nacht!“
    „Gute Nacht, Rosita!“
    Und nun ging sie wirklich, denn sie öffnete wahrhaftig die Tür, ehe sie dieselbe wieder heranzog, wobei sie eine Miene machte, als ob sie sich auf etwas Hochwichtiges besonnen habe. Dann hob sie warnend den rosigen Finger empor, zog die dunklen Brauen geheimnisvoll in die Höhe und flüsterte im Ton einer intimen Bekanntmachung:
    „Wir hätten eigentlich nicht gute Nacht sagen sollen, sondern guten Morgen.“
    Er sah sich nach dem Fenster um, um zu sehen, ob sie recht habe, doch wunderbar, er kam ihr dabei immer näher, obgleich zwischen ihr und dem Fenster, durch welches er sah, das ganze Zimmer lag. Und als er sich ein genügendes Urteil über die da draußen herrschende Morgenhelle gebildet hatte und sich umdrehte, da fühlte er, daß auf eine ganz unbegreifliche Weise ihre Hand in die seinige gekommen war. Ihr Gesichtchen befand sich merkwürdig nahe an dem seinigen und er fühlte sich darüber so erschrocken, daß er auf ihre wiederholende Erkundigung: „Nicht wahr, lieber Kurt?“ zuerst mit einem Kuß antwortete und dann erst in regelrechter Weise sein Gutachten abgab:
    „Ja, mir scheint es auch so!“
    Er bewies die Wahrheit dieser Ansicht mit einem zweiten Kuß, der eine so feste Überzeugung in ihrem Herzen bewirkte, daß sie nun außer allem Zweifel war und infolgedessen unter einem letzten Händedruck ihn bat:
    „So wollen wir sagen: Guten Morgen, lieber Kurt!“
    „Guten Morgen, meine liebe Rosita! Ich werde ganz gewiß von dir träumen!“
    „Schönes?“
    „Sehr Liebes und Schönes!“
    „Du wirst es mir erzählen?“
    „Sehr gern!“
    „Und nichts weglassen?“
    „Gar nichts!“
    Aber weil ihm doch von vielen und langen Küssen träumen und er bei der Erzählung vielleicht einen vergessen konnte, war er so klug, sich gerade diesen einen vergeßlichen noch vorwegzunehmen, wobei beide bereits draußen auf dem Korridor standen. Doch dauerte dieser Kuß nicht allzulange, denn die Hausglocke erschallte, und ein sehr unmelodisches, blechernes Klirren ließ vermuten, daß die Milchfrau unten stehe. Die beiden fuhren auseinander, er in sein Zimmer hinein und sie mit leisen Schritten den Korridor hinunter in das ihrige. Und als sie beide nun allein waren, stand er hinter seiner Tür und flüsterte, die Hände auf dem Herzen:
    „Oh, wie liebe, wie liebe ich sie!“
    Und sie stand hinter der ihrigen, holte tief Atem, hielt die Hände über dem Busen gefaltet, der seine Hülle beinahe zersprengen wollte, und flüsterte:
    „Was war das? Was habe ich getan! O mein Gott, das darf ich Mama gar nicht sagen, nein, niemals, niemals!“
    Sie ging in ihrem Zimmer auf und ab, sie wußte nicht, was sie fühlte und dachte. So wanderte sie langsam aber ruhelos auf und ab, bis endlich geklopft wurde und sie das Mädchen einlassen mußte, welche sie zu bedienen hatte. Diese wunderte sich, die Herrin bereits wach zu finden; aber ihr Erstaunen wuchs, als sie in das Nebenkabinett trat und das unberührte Bett bemerkte.
    „Mein Gott, Sie haben gar nicht geschlafen?“ fragte sie.
    „Nein“, lautete die kurze Antwort. „Bringe die Schokolade und dann kleide ich mich an.“
    „Welche Robe?“
    „Die penseeseidene. Ich fahre aus.“
    „So früh?“
    „Es ist notwendig. Sage dem Kutscher, daß er anspannen möge.“
    Es war acht Uhr und noch gar keine Visitenzeit, als der Diener den Schlag öffnete, um sie in die Equipage steigen zu lassen.
    „Zum Kriegsminister“, befahl sie dem Kutscher.
    Der Wagen rollte fort, ohne daß Kurt ihn sah oder hörte, denn er lag jetzt eben in den schönen Träumen, welche er seiner Rosita erzählen

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