45 - Waldröschen 04 - Verschollen
ganz kostbare Gewänder aufbewahren. Er bekommt deren genug als Handelsgeschenk oder Tribut. Wir werden uns mit allem Nötigen so versehen, daß wir als große Herren reisen können. Jetzt handelt es sich aber auch um die Sprache. Es ist notwendig, gut arabisch zu sprechen. Ich habe es gelernt.“
„Ich auch.“
„So kann es uns gar nicht fehlen, wenn wir die Stadt nur erst im Rücken haben. Einen Abban finden wir für unser Geld gewiß. Am liebsten möchte ich gleich jetzt beginnen, um ja keinen Augenblick zu versäumen.“
Der alte Graf war ganz voller Begeisterung für seinen Fluchtplan, ebenso aber auch der Gärtner. Dieser fiel sofort ein:
„Auch ich bin bereit, Señor. Wollen wir?“
„O wie gern! Aber leider geht es nicht an; wir müssen Geduld haben und warten.“
„Warum?“
„Weil wir mehrere Stunden brauchten, um nur hinaus bis zu den Kamelen zu gelangen, und dazu ist es heute zu spät. Man würde unsere Flucht zu zeitig entdecken und uns nahe auf den Fersen bleiben. Dann wären wir jedenfalls verloren.“
„Das sehe ich nicht ein“, warf der Gärtner ein.
„So kennst du dieses Land nicht. Wir wissen noch gar nicht, ob wir uns nach Zeyla oder Berbera wagen dürfen, und dies sind die beiden Häfen, welche uns am nächsten liegen. Vielleicht müssen wir uns an der Küste verstecken, um ein vorübersegelndes Schiff zu erwarten. Dort würden wir ganz sicher eingeholt. Nein, wir müssen unbedingt bis morgen abend warten.“
„Gut, ich füge mich, Don Ferdinande. Aber eins können wir bereits jetzt tun.“
„Was?“
„Wir können versuchen, ob es uns gelingt, den Stein zu bewältigen.“
„Da gebe ich dir allerdings recht. Gelingt uns das, so wird uns die Überzeugung beruhigen, daß wir zu jeder Stunde unseren Kerker verlassen können, gelingt es aber nicht, so wissen wir dann doch, daß wir uns einen andern Weg aus dem Gefängnis bahnen müssen; denn hinaus müssen wir, auf jeden Fall und um jeden Preis.“
„So wollen wir hinüber zu mir gehen. Ich werde voransteigen.“
Der Gärtner turnte sich an der Mauer empor, und der Graf folgte ihm. Sie gelangten ohne Mühe durch die Öffnung hinüber in das andere Loch. Dieses hatte, wie Don Ferdinande sich überzeugte, dieselbe Breite und Tiefe wie das seinige. Man konnte also nach Schornsteinfegerart emporklettern.
„Fühlt Ihr die Ratten, welche ich getötet habe, Señor?“ fragte Bernardo.
„Ja. Aber komm, wir wollen in die Höhe.“
„Laßt mich voran, weil ich bereits oben gewesen bin.“
Er schob sich in die Höhe, hüben mit dem Rücken und drüben mit den Füßen anliegend; der Mexikaner folgte ihm schneller nach, als man es bei seinem Alter erwartet hätte. Fünf Fuß vom Boden entfernt, machte das Loch eine Biegung zur Seite. Es ging unter der Gefängnismauer schief hindurch und wurde dann etwas weiter. So gelangten sie, ohne sich außerordentlich angestrengt zu haben, zu der Steinplatte, welche ihnen die Freiheit verschloß.
„Nun gilt es, Señor“, sagte Bernardo. „Kommt herbei; wir wollen probieren.“
Sie fanden wirklich Platz nebeneinander, und da das Loch nicht senkrecht, sondern in einem halbrechten Winkel hier nach oben führte, so konnten sie festen Halt fassen und doch den größten Teil ihrer Kraft auf die Bewegung der Platte verwenden. Erst schien sie doch zu schwer zu sein, aber bei dem zweiten Stoß wich sie und schob sich ein wenig zur Seite, so daß eine Lücke entstand, durch welche der Sternenhimmel zu erblicken war.
„Gott und allen Heiligen sei Dank, es geht!“ flüsterte der Graf. „Hier gibt es frische Luft, anstatt des bestialischen Gestankes da unten. Mir ist, als ob uns die Sterne das Gelingen unseres Planes zublinkten. Verstehst du es, an den Sternen die Zeit zu erkennen?“
„Ja. Es ist bereits nach Mitternacht.“
„Es wäre also zu spät, unser Werk zu beginnen. Wie still und lautlos ist es ringsum. Härrär liegt in tiefster Ruhe. Dort drüben bei Hadschi Amadan stehen noch die Dattelsäcke, welche er heute erhalten hat; ich erkenne sie, trotzdem es sehr finster ist.“
„Dattelsäcke?“ fragte der Gärtner. „Ah, wenn man sich da etwas holen dürfte? Ich habe seit einigen Tagen nichts zu essen bekommen.“
Die Augen des Grafen schweiften forschend zur Lücke hinaus. Nach einer Weile sagte er:
„Eigentlich ist dieser Wunsch unvorsichtig zu nennen, aber wir müssen bedenken, daß wir morgen all unsere Kräfte bedürfen. Bei mir ist der Durst größer, als der Hunger, und
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