45 - Waldröschen 04 - Verschollen
avanciert war, entfernte sich. Vor dem Tor wartete Halef auf ihn. Er erwartete ganz bestimmt, eingelassen zu werden, und erstaunte nicht wenig, als er die Worte vernahm:
„Kehre zurück zu deinem Herrn und melde ihm, daß kein Somali eingelassen wird!“
„Allah ist groß! Warum nicht?“
„Weil der Sultan die Somali verachtet. Der Wächter ist getötet worden, weil er ihm zugemutet hat, ihm deinetwegen den Schlüssel zu geben. Ich bin sein Nachfolger.“
„Du sagst, ich soll zu meinem Herrn zurückkehren? Du sagst ferner, der Sultan verachte die Somali?“ zürnte Halef draußen vor dem Tor. „Weißt du nicht, daß ich keinen Herrn habe? Wir Somali sind freie Männer, ihr aber seid elende Knechte und Sklaven. Euer Leben gehört eurem Tyrannen; er nimmt es euch, wenn es ihm beliebt. Er verachtet uns, sagt er, und doch kauft er unsere Ware, doch handelt und feilscht er mit uns, wie ein Jehudu, wie ein Jude. Wir, wir sind es, die euch verachten. Und Allah möge dich verdammen, wenn du dies nicht einsiehst und im Gedächtnis behältst. Lebe wohl, Sklave deines Henkers!“
Er stieg auf das Kamel und eilte davon.
Nach kurzer Zeit breitete sich nächtliche Stille über die Stadt. Die beiden Gefangenen und die Angehörigen des hingerichteten Wächters waren wohl die einzigen, welche den erquickenden Schlaf nicht suchten.
Am anderen Morgen, zwei Stunden nach Tagesanbruch, kam ein Bote des Sultans an das Tor.
„Ist die Handelskarawane da?“ fragte er.
„Nein“, antwortete der neue Wächter.
„So sollst du zu dem Sultan kommen.“
Der Beamte erbleichte. Daß er zum Herrscher beordert wurde, flößte ihm Bedenken ein; aber er mußte gehorchen, und zwar augenblicklich.
Er fand den Herrn bereits auf dem Thron sitzen und warf sich nieder, um die Anrede zu erwarten. Einige Große des Reiches standen dabei.
„Ist der Emir Arafat mit den Geschenken angekommen?“ lautete die Frage.
„Noch nicht, Herr.“
„Warum zögert dieser Hund? Hast du diesem Somali, seinem Boten, nicht gesagt, daß ich ihn zwei Stunden nach Aufgang der Sonne erwarte?“
„Nein, ich fand keine Zeit, es ihm zu sagen“, antwortete der Wächter zitternd.
„Warum nicht, du Hund, du Sohn von einem Hund?“ brauste der Herrscher auf.
„Weil er zu eilig davonritt.“
„So soll ich deinetwegen warten? Habe ich dich darum zum Wächter bestellt? Allah ist groß und gerecht. Was der Mensch gibt, das erhält er wieder. Du hast als mein Henker viele Leute getötet; es wird nun dein Leben genommen werden. Komm her!“
Es wiederholte sich jetzt dieselbe Prozedur wie gestern abend. Einige Augenblicke später lag der Wächter mit durchhauenem Hals am Boden, und es wurde abermals ein Nachfolger bestellt, welcher sofort nach dem Tor eilte, dessen Schlüssel er von dem Sultan erhalten hatte.
Dieser befand sich in der gefährlichsten Stimmung. Er hatte allerdings gesagt, daß er die Somali verachte, aber er konnte vor Habgier ihre Geschenke nicht erwarten.
So verging fast der ganze Vormittag, ehe der Emir gemeldet wurde. Jetzt ließ der Herrscher ihn nicht am Tor stehen, wie es gestern abend seine Absicht gewesen war, sondern er erteilte den Befehl, ihn sofort einzulassen und nach dem Palast zu bringen.
Nach kurzer Zeit erschien der Karawanenführer. Er hatte fünf Männer bei sich, welche ein hoch beladenes Kamel geleiteten. Dieses wurde abgeladen; seine Last bestand in den Geschenken, welche für den Sultan bestimmt waren. Die Sachen wurden von den Leuten des Herrschers in Empfang genommen, und Arafat durfte mit seinen Begleitern eintreten, nachdem er jedoch zuvor die Waffen abgelegt und die Schuhe ausgezogen hatte. Er wurde mit höchst unfreundlicher Miene empfangen.
„Warum kniet ihr nicht nieder?“ rief der Sultan.
„Wir beugen unsere Knie nur vor Allah“, antwortete der Emir stolz. „Wir sind freie Männer und beten keinen Menschen an.“
„Warum kommst du so spät?“
Der Ton dieser Frage war ein solcher, daß die dunklen Augen des Emirs zornig aufblitzten.
„Weil es mir so gefiel“, sagte er.
„Ah, du hast dich nach meinem Willen zu richten, nicht aber nach deinem Wohlgefallen! Weißt du, daß ich deinetwegen zwei Wächter hingerichtet habe?“
„Ich bin nicht schuld daran. Ich bin gekommen, um mit dir zu handeln, aber nicht, um mich zu zanken, oder gar mich beleidigen zu lassen.“
„Deine Sprache ist sehr kühn! Habe ich dich beleidigt?“
„Wer einen Boten kränkt, der kränkt den, dessen Bote er ist. Sage mir,
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