45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Sobald du die Sänfte öffnest und dein Blick auf die Sklavin fällt, jage ich ihr eine Kugel durch den Kopf.“
Er zog eine Pistole hervor und spannte den Hahn derselben. Der Sultan erkannte, daß der Emir seine Drohung wahr machen werde. Er hielt, nach der gehörten Schilderung die Sklavin für so schön, daß er sich bereits entschlossen hatte, sie zu kaufen, und darum beschloß er jetzt, sich zu fügen, allerdings eine Nachgiebigkeit, die bei ihm eine ganz außerordentliche Seltenheit war. Er sagte darum:
„Du sollst deinen Willen haben, aber ich warne dich, meine Nachsicht nicht noch einmal auf die Probe zu stellen, du könntest es bereuen! Zeige deine Sachen!“
Er war mit seinen Gedanken zu sehr mit dem Mädchen beschäftigt, als daß er den Waren sehr große Aufmerksamkeit hätte schenken mögen; darum traf er schnell eine Auswahl und feilschte nicht lange. Nur als die beiden Doppelgewehre erschienen, vergaß er die Sklavin auf kurze Zeit. Er kaufte sie für einen sehr hohen Preis und behielt auch die ganze vorhandene Munition für sich. Die Summe, welche er zu bezahlen hatte, war eine ganz bedeutende, wurde aber nicht sofort entrichtet, da der Emir ja auch Sachen von ihm entnehmen wollte, wonach dann ein Ausgleich stattfinden mußte.
Der Händler war sehr zufrieden mit seinem geschäftlichen Erfolg. Er hatte einen Preis erzielt, welcher bedeutend höher war, als er erwartet hatte. Darum weigerte er sich nicht länger, als der Sultan das Mädchen endlich zu sehen verlangte. Er machte nur die Bedingung, daß dies nicht hier, sondern im Inneren des Palastes zu geschehen habe.
Da klatschte der Sultan in die Hände. Sogleich erschienen seine Leute, denen er den Auftrag gab, die gekauften Waren fortzuschaffen. Vier von ihnen mußten die Sänfte vom Kamel nehmen und in den Audienzsaal tragen, sich dann aber zurückziehen. Er folgte mit dem Emir nach. Als sie sich allein sahen, gebot der Sultan:
„Nun öffne!“
Der Aufgeforderte schlug die Vorhänge zurück, und man sah eine weibliche Gestalt, welche in ein feines, weißes, fast durchsichtiges Gewand gehüllt war. Ihr Gesicht konnte der Sultan nicht sehen, da sie einen doppelten Schleier trug.
„Nimm den Schleier hinweg!“ befahl er.
Dies geschah, und nun erblickte der Sultan ein Gesicht, wie er so zart, weiß und schön noch keines gesehen hatte. Ein paar große, herrliche, mit Tränen gefüllte Augen blickten ihn an, und von den zarten Wangen war die Röte gewichen. Er sprang auf, er war jetzt entschlossen, sich dieses köstliche Wesen nicht entgehen zu lassen, und rief gebieterisch:
„Laß sie aussteigen! Ich muß ihre Gestalt sehen.“
Der Emir gab der Sklavin ein Zeichen, und als sie dies nicht zu verstehen schien oder nicht verstehen wollte, faßte er sie bei der Hand und zog sie mit halber Gewalt heraus.
Da stand sie nun, hoch und schlank, vor Scham bebend und doch stolz wie ein Fürstin. Das durchsichtige Gewand ließ ihre ganze Gestalt erkennen. Denn das blendend weiße Fleisch der vollen, üppigen Formen leuchtete durch die feinen Maschen. Der Sultan fühlte sich bei allen seinen Sinnen gefangen.
„Darf ich sie berühren?“ fragte er.
„Überzeuge dich, wie schön sie ist“, nickte der Emir.
Nun befühlte der Herrscher die Arme und Schenkel, die Schultern und den Busen, er betrachtete die feinen Hände und die nackten Füßchen. Sie konnte sich nicht wehren; sie mußte dies alles mit sich geschehen lassen, und es bedurfte ihrer ganzen Anstrengung, sich aufrecht zu erhalten und nicht vor Scham zusammenzubrechen.
„Was kostet sie?“ fragte nun der Sultan.
„Fünftausend Aschrafi“, antwortete der Händler.
Diese Summe betrug nach deutschem Geld etwa über sechstausend Mark.
Der Sultan trat erstaunt zurück und rief:
„Fünftausend Aschrafi? Bist du toll! Weißt du nicht, daß ich die schönste Sklavin hier für vierhundert Aschrafi verkaufe?“
Der Gefragte zuckte verächtlich die Achsel und antwortete:
„Ja, eine Ungarin oder eine Abessinierin. Diese Fürstin der Schönheit kostet fünftausend. Willst du sie nicht bezahlen, so nehme ich das Mädchen mit nach Schoa. Der Sultan von Schoa zahlt mir gern sechstausend.“
„Viertausend will ich dir geben.“
Da machte der Händler ein sehr ernstes Gesicht und sagte im entschiedensten Ton:
„Laß dir sagen, daß ich sie nicht anders verkaufe, als ich gesagt habe. Wir wollen uns sehr kurz fassen. Sage ja, so gehört sie dir; sage nein, so nehme ich sie sofort wieder
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