45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Morgenröte.“
„Ihre Arme?“
„Sie sind weiß wie Papier und voll und rund, zum Entzücken dessen, um dessen Nacken sie sich in Liebe schlingen.“
„Ihre Füße?“
„Sie gleichen ihren Händen. Ihr Gang ist wie der Gang der Gazelle, so leicht und schön.“
„Ihre Taille?“
„Du kannst den süßen Leib mit deinen Fingern umspannen.“
„So ist ihre Brust, wie diejenige einer magern Giraffe, o Emir!“
„Nein. Ihr Busen ist voll wie ein Doppelbrunnen, der nie von der Sonne leidet, und ihre Hüften sind schöner als die Schönheit von Ayescha, welche das Lieblingsweib des Propheten war, den Allah segnen möge!“
„Ihr Mund und ihre Zähne?“
„Ihre Lippen sind Granaten, zwischen denen die Zähne wie Perlen glänzen. Wer die Sklavin küßt, der kommt in Gefahr, das Leben und die Welt und sich selbst zu vergessen.“
„Allah! Du hast sie geküßt!“ rief der Sultan, bereits so eifersüchtig, als ob die betreffende Sklavin ein Eigentum seines Harems sei.
Der Emir konnte ein Lächeln der Befriedigung kaum unterdrücken; er erkannte, daß er seine Ware zu einem sehr hohen Preis losschlagen werde.
„Du irrst“, antwortete er. „Es hat noch kein Mensch die Lippen dieses Mädchens berührt.“
„Weißt du dies genau?“
„Ich weiß es. Wer wollte sie küssen, da niemand mit ihr sprechen kann?“
„Allah! So ist sie stumm und taub dazu?“
„Nein. Ihre Rede klingt vielmehr wie der Gesang der Nachtigall, aber sie redet eine Sprache, welche hier kein Mensch versteht.“
„Welche Sprache ist es?“
„Ich weiß es nicht, ich habe solche Worte noch nie vernommen. Ich habe Araber, Somali, Härräri, Inder, Malaien, Türken, Franzosen und Perser reden hören, aber keiner von ihnen hat gesprochen wie dieses Mädchen.“
„Woher hast du sie?“
„Ich war in Ceylon und traf doch einen chinesischen Mädchenhändler. Ich sah diese Sklavin und gab einen hohen Preis für sie, um sie dir zu bringen.“
„So gehe und hole sie nebst den anderen Waren. Aber zaudere nicht, sondern beeile dich!“
Der Emir entfernte sich mit seinen Leuten, um dem sehnsüchtigen Verlangen des Herrschers Folge zu leisten. Unterdessen wurden die Revolver zur Schau im Throngemach aufgehängt. Erst als sich alle Anwesenden auf den Befehl des Sultans zurückgezogen hatten, machte er sich höchst eigenhändig über die übrigen Geschenke her, um sie nach der Schatzkammer zu tragen.
Die Kunde, daß eine Handelskarawane angekommen sei, lockte die Bewohner Härrärs aus ihren Häusern, doch blieb der Platz vor dem Palast des Sultans leer. Man wußte ja, daß er erst seine Einkäufe machte, ehe andere an die Reihe kamen. Eine Zudringlichkeit hätte das Leben kosten können.
Es dauerte nun nicht lange Zeit, so zog der Emir mit seinen Kamelen und Leuten zum Tor herein, durch die holperigen Gassen dahin und hielt vor dem Palast.
Hier wurden die Tiere von ihrer Bürde befreit, ein einziges ausgenommen, auf welchem sich die Sänfte befand. Man breitete große Teppiche auf die Erde und legte da die Waren aus. Als dies geschehen war, kam der Sultan, um sie anzusehen. Er war ganz allein, und niemand durfte dabei sein, während er seine Auswahl traf.
„Wo ist die Sklavin?“ war seine erste Frage.
„Dort in der Atuscha (Sänfte)“, antwortete der Emir.
„So will ich sie sehen.“
Der Handelsmann schüttelte den Kopf und sagte:
„Zuerst die tote Ware und dann die lebendige.“
Der Sultan machte ein zorniges Gesicht und erwiderte in strengem Ton:
„Hier in Härrär bin ich der Gebieter. Man hat mir zu gehorchen. Ich will sie sehen!“
„Über meine Sachen bin ich der Gebieter“, sagte Arafat sehr ruhig. „Wer mir von den Sachen viel abkauft, der bekommt die Sklavin zu sehen, sonst keiner. Darf ich mit meinem Eigentum nicht tun, was ich will, so ziehe ich wieder fort.“
„Und wenn ich dich festhalte?“ sagte der Sultan drohend.
„Festhalten? Gefangennehmen? Mich?“ rief der andere, einen Schritt zurücktretend.
„Ja, dich!“
„Da gibt es Tausende von Somalis und Arabern, die kommen werden, mich zu befreien.“
„Sie würden nur deine Leiche zu sehen bekommen. Öffne die Sänfte!“
„Jetzt nicht; später!“
„So werde ich dir beweisen, daß ich der Gebieter bin!“
Er schritt auf die Sänfte zu. Da trat ihm der Emir entgegen und rief drohend: „Ich weiß, daß du hier mächtiger bist, als ich. Ich darf mich nicht an dir vergreifen, aber ich kann mit meinem Eigentum machen, was mir beliebt.
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