45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Sultan. „Siehe, ob du ihre Sprache verstehen kannst!“
Don Ferdinande trat einige Schritte vor. Jetzt fiel durch die enge Fensteröffnung der Schein des Lichtes auf sein Gesicht, so daß es hell erleuchtet war. Da machte die Sklavin abermals eine Bewegung der Überraschung. Der Sultan bemerkte das natürlich, aber er dachte, sie sei in Verwunderung darüber, daß er es einem männlichen Wesen gestatte, hier Zutritt zu nehmen.
„Quelle est la langue, laquelle vous parlez, mademoiselle – welches ist die Sprache, die Sie sprechen, mein Fräulein?“ fragte er französisch.
Sie richtete sich beim Klang dieser Stimme noch weiter empor und zögerte, zu antworten. Dies geschah wohl vor freudigem Schreck. Er aber dachte, sie verstehe nicht französisch, und da die englische Sprache wenigstens ebenso verbreitet ist wie die der Franzosen, so wiederholte er seine Frage englisch:
„Do you perhaps speak English, Miss – sprechen Sie vielleicht englisch, Fräulein?“
„Bendito sea Dios!“ antwortete sie endlich, aber spanisch. „Ich verstehe ja englisch und französisch, aber sprechen wir spanisch!“
Jetzt war die Reihe, zu erstaunen, an ihn gekommen. Er hörte die heimatlichen Laute, er hätte sich vor Freude und Glück zu ihren Füßen niederwerfen mögen, aber das Unglück hatte ihn geschult und ihm gelehrt, vorsichtig zu sein, darum beherrschte er sich und fragte, indem er dem Ton seiner Stimme die möglichste Gleichgültigkeit erteilte:
„Mein Gott, Ihr seid eine Spanierin? Aber bleibt ruhig! Verratet keine Überraschung. Man muß in unserer Lage nicht unvorsichtig sein!“
„Ich werde Eurer Warnung folgen, obgleich ich nicht nur erstaunt, sondern förmlich aufgeregt bin“, antwortete sie. „Himmel, ist es möglich, oder täuschen mich meine Augen? Ja, Señor, wir müssen uns beherrschen! Aber welche Freude, welche Seligkeit, wenn ich mich nicht irrte!“
„Was meinen Sie, Señora?“ fragte er gespannt.
„O, ich bin nicht nur eine Spanierin, sondern sogar eine Mexikanerin!“ sagte sie.
Jetzt fehlte nicht viel, so hätte er sich nicht zu beherrschen vermocht, aber er besann sich und sagte im gleichgültigsten Ton, der ihm möglich war:
„Eine Mexikanerin? Señora, ich darf mich nicht gehen lassen, denn wir werden von dem scharfen Auge eines Tyrannen beobachtet, aber ich sage Euch, daß ich mir die allergrößte Mühe geben muß, den Aufruhr meiner Empfindungen zu verbergen. So hören Sie also nur, daß auch ich ein Mexikaner bin.“
„Santa Madonna! So wird es ja wahrscheinlich, daß ich mich nicht täusche. Als das Licht durch dieses Fenster auf Euer Gesicht fiel, kam mir dasselbe bekannt vor, ebenso Eure Stimme, als ich dieselbe hörte. Ich bitte Euch, bleibt ruhig, ganz ruhig und gleichgültig! Aber sagt mir, ob Ihr in Mexiko eine Besitzung kennt, welche Hacienda del Erina heißt?“
„Die kenne ich. O, die ist mir nur zu wohl bekannt!“
„Kennt Ihr auch den Besitzer derselben?“
„Den guten Pedro Arbellez? Wie sollte ich meinen treuesten, besten Diener nicht kennen!“
„Euren Diener? O, ihr heiligen Engel, so ist es wahr! Ja, jetzt, da Ihr Euch zur Seite dreht, sehe ich auch den vernarbten Lanzenstich in Eurer rechten Wange. Ihr seid es! Ihr seid unser lieber, lieber Don Ferdinande de Rodriganda!“
Jetzt ging es ihm fast über menschliches Vermögen, kaltblütig zu bleiben, aber es gelang ihm doch so leidlich. Aber seine Stimme zitterte vor Aufregung, als er fragte:
„Ihr kennt mich, Señora? Ihr kennt den Haziendero Arbellez?“
„Ja, ich kenne ihn; ich kenne ihn sogar noch besser als Ihr oder ein anderer ihn kennt. Ich bin ja seine Tochter; ich bin Emma Arbellez, seine Tochter!“
Jetzt trat eine Pause ein, eine Pause, während welcher kein Laut gehört wurde, aber diese Pause umschloß eine ganze Sturmflut von Empfindungen, welche die Herzen der beiden Gefangenen durchwogte, die sich hier so wunderbar gefunden hatten. Der Graf konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber er hatte gehört, daß bei den letzten Worten ihre Stimme brach. Sie weinte. Auch ihm wären die Tränen ganz sicherlich in die Augen getreten, wenn ihn nicht gerade jetzt der Sultan mit harter Stimme gefragt hätte:
„Du verstehst ihre Sprache, wie ich höre?“
„Ja.“
„Welche Sprache ist es?“
„Es ist die Sprache eines Landes, das hier niemand kennt.“
„Wie heißt es?“
„Spanien.“
„Dieser Name ist mir unbekannt. Es muß ein kleines, armseliges Ländchen sein.“
„Es ist im
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