45 - Waldröschen 04 - Verschollen
forschenden Blick auf Röschen. Sie sah blaß aus, als ob sie wenig geschlafen habe, und senkte vor ihm die Augen. Hatte das Nachdenken über den Kuß ihr den Schlaf geraubt?
Ihre Mutter ließ die schönen, ruhigen Augen forschend auf sein Gesicht fallen, und er glaubte in ihnen die stille Zusage zu lesen, daß sein Geheimnis nicht verraten werden solle.
Dann kam die Zeit, sich zur Schwadron zu begeben. Ludewig, der jetzt sein Diener war, hatte ihm das Pferd gesattelt. Es war ein prächtiger, andalusischer Rapphengst, den ihm der Herzog geschenkt hatte. Er stieg auf und ritt nach der Kaserne. Als er in den geräumigen Hof derselben einbog, waren die Schwadronen bereits aufgeritten. Er kam nicht zu früh, denn die Offiziere waren bereits ziemlich vollzählig anwesend und warteten nur noch des Obersten und der beiden Oberstwachtmeister, um die Exerzitien zu beginnen.
Aller Augen fielen auf ihn. Auch Ravenow war da. Er hatte sich von seinem gestrigen Sturz erholt und wandte sich ab, als er den Nahenden bemerkte.
„Alle Teufel, welch ein Pferd!“ meinte Branden, der Adjutant. „Womit hat der Schiffersohn dieses edle, kostbare Tier bezahlt? Und das will der Kerl im gewöhnlichsten Dienst reiten? Das kann sich nur ein Millionär bieten!“
Kurt salutierte vor den Kameraden, die diesen Gruß kaum erwiderten. Nur Platen ritt zu ihm heran, reichte ihm freundlich die Hand und sagte so laut, daß alle es hören konnten:
„Guten Morgen, Helmers! Ein feiner Hengst! Hast du mehrere von dieser Schönheit im Stall?“
„Es ist mein Dienstpferd“, antwortete der Gefragte. „Die anderen muß ich schonen.“
„Donnerwetter!“ brummte der Adjutant seinem Nachbar zu. „Dieses Pack tut ja, als ob die anderen noch kostbarer seien. Ich glaube, der Kerl schneidet auf. Aber dieser Platen wirft sich weg; ich werde ihm einmal in die Zügel greifen!“
Da kam der Oberst mit den beiden anderen angeritten. Sein Gesicht war finster, als ob er eine stillverhaltene Wut kaum bemeistern könne. Der Adjutant ritt ihm salutierend entgegen.
„Etwas außer dem Alltäglichen zu melden?“ fragte der Chef.
„Zu Befehl, mein Herr Oberst“, lautete die Antwort. „Leutnant Helmers zum Eintritt in die Schwadron bereit.“
„Leutnant Helmers vor!“ kommandierte der Oberst mit scharfer Stimme.
Kurt ritt heran und hielt vor ihm still, als sei er nebst dem Pferd aus Erz gegossen. Der Vorgesetzte musterte seinen Anzug, sein Reitzeug, sein Pferd. Er hätte gern etwas ordnungswidriges entdeckt, fand das zu seinem Bedauern aber rein unmöglich. Dann sagte er mit einem verächtlichen Augenzwinkern:
„Sie können heimreiten. Werde Ihnen sagen lassen, ob überhaupt ich Sie brauche, und wann!“
Kurt salutierte, ohne eine Miene zu verziehen, zog sein Pferd empor und schoß in eleganten Lançaden zum Tor hinaus.
„Feiner Reiter!“ brummte der Adjutant, ihm mit den Augen folgend. „Wo der Bengel das nur her hat!“
Helmers durchschaute die Absicht des Obersten. Er wollte ihn gar nicht erst in Dienst treten lassen, da zwei Herausforderungen Grund genug waren, ihn wenigstens einstweilen für den Dienst unmöglich zu machen. Selbst wenn der bürgerliche Leutnant in beiden Duellen, falls diese ja stattfanden, Sieger blieb, war ihm doch eine längere Festungshaft gewiß.
Kurt hingegen lächelte darüber. Er kehrte nach Hause zurück und sagte da, um seine zeitige Rückkehr zu erklären, daß man seinen Eintritt für heute noch nicht für notwendig gehalten habe. –
Die Übung dauerte über eine Stunde. Der Oberst war kaum erst zurückgekehrt und wollte es sich eben bequem machen, als Platen bei ihm eintrat.
„Ah, recht, daß Sie kommen, Leutnant von Platen“, meinte der Chef in einem ungnädigen Ton. „Ich habe Ihnen über gestern abend die Bemerkung zu machen, daß ich Ihr Verhalten nicht begreife. Warum ließen Sie diesen Menschen neben sich Platz nehmen und spielten sogar Schach mit ihm?“
„Weil ich der Ansicht bin, daß Unhöflichkeit jeden Menschen schändet, einen Offizier am allermeisten. Und weil ich annahm, daß, wenn der Kriegsminister uns einen Kameraden gibt, er von uns erwartet, daß wir ihn als solchen behandeln.“
„Aber Sie kannten unsere Abmachung!“
„Ich habe mich an derselben nicht beteiligt.“
„Sie sind sogar mit ihm fortgegangen, wie es mir scheint.“
„Allerdings“, antwortete Platen furchtlos. „Ich finde in ihm einen Charakter, den ich achten muß. Wir sind Freunde geworden.“
„Ah!“ rief
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