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45 - Waldröschen 04 - Verschollen

45 - Waldröschen 04 - Verschollen

Titel: 45 - Waldröschen 04 - Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Du denkst doch nicht, daß ich meiner Mama etwas verschweigen soll?“
    „Davor behüte mich Gott, du reine, lautere Seele!“ rief er in überströmendem Gefühl. „Sage ihr alles, doch sage ihr auch, daß sie nicht Angst haben solle, daß die Forderung noch nicht geschehen sei, und daß ich um ihre Verschwiegenheit bitte.“
    „Das werde ich tun, und Mama wird deine Bitten erfüllen. Gute Nacht, mein lieber Kurt.“
    „Gute Nacht, meine liebe, teure Rosita!“
    Sie streckte ihm beide Hände entgegen und schickte sich dann an, das Zimmer zu verlassen. Doch an der Tür blieb sie nachdenklich stehen, drehte sich noch einmal um und sagte mit einem engelhaften, kindlich schönen Lächeln:
    „Fast hätte ich eine wichtige Sache vergessen! Wenn du mein Ritter bist, so muß ich es doch machen wie die Burgfräuleins und dir eine Schleife mit in den Kampf geben. Ist die gut, die ich auf dem Kleid trage, Kurt?“
    Er hätte vor Wonne aufjauchzen mögen. Diese kindlich zarte und doch zugleich bereits jungfräulich holde Naivität schwellte seine Brust vor Entzücken und trieb ihm das Blut mit zehnfacher Schnelligkeit durch die Pulse. Er fühlte seine Schläfe klopfen, als er antwortete:
    „Oh, sie ist schön; sie ist herrlich. Willst du sie mir wirklich geben?“
    „Sehr gern, mein guter Kurt!“ Sie nestelte die seidene Schleife von ihrem jugendlich zart und schön gerundeten Busen und streckte sie ihm entgegen. „Wenn du in den Kampf gehst, so steckst du sie dir auf die Brust. Oder nein! Da sieht man sie! Diese Menschen sind nicht wert, daß sie das Zeichen sehen, welches du von mir trägst. Aber wo willst du sie sonst befestigen?“
    „Nicht auf dem Rock, sondern unter demselben, auf meinem Herzen!“
    Ein liebliches Rot flog über ihre Wangen; sie senkte die langen, seidenen Wimpern, hob aber dann das Auge schnell zuversichtlich zu ihm und meinte:
    „Ja, so magst du es tun, denn das ist der beste Platz. Ich werde sie dann mit großem Stolz wieder tragen.“
    „Wie? Ich soll sie dir wiedergeben?“ rief er.
    „Etwa nicht?“ fragte sie.
    „Ja, wenn du willst“, meinte er, und beinahe verlegen fügte er hinzu: „Aber dann müßtest du sie einlösen, wie es die Ritterfräuleins gemacht haben.“
    „Einlösen? Womit?“
    „Mit einem Kuß.“
    Jetzt färbten sich ihre Wangen dunkler als vorher, aber sie überwand dieses ihr unerklärliche Gefühl und fragte:
    „Haben das die Ritterfräuleins wirklich getan?“
    „Ja, ganz gewiß, Röschen.“
    „Das habe ich allerdings nicht gewußt. Wenn ich dir aber die Schleife ganz schenke, so brauche ich sie auch nicht einzulösen?“
    „Allerdings nicht.“
    „Nun, so will ich es mir noch überlegen, ob ich sie wieder tragen werde oder nicht. Was von beiden ist dir lieber, Kurt?“
    Er nahm sich ein Herz und antwortete mutig:
    „Am liebsten ist es mir, wenn ich den Kuß erhalte und die Schleife behalten darf.“
    „Geh! Damit würdest du mich übervorteilen. Diese Sache ist nicht so leicht, als wie man denken sollte. Es wird mich viel Nachdenken kosten, einen richtigen Entschluß zu fassen. Behalte die Schleife jetzt; ich werde dir mitteilen, was geschehen soll!“
    Sie ging und er blieb zurück mit übervollem Herzen. Jetzt trat zum ersten Mal hell der Gedanke vor seine Seele, daß dieses herrliche Wesen einst einem anderen gehören werde. Er preßte die Schleife an seine Lippen, er kniete nieder und küßte die Stelle, auf welcher sie gesessen hatte und von welcher noch der feine Resedaduft ausströmte, den sie so sehr liebte. So lieblich, so keusch wie dieses Parfüm war ihr ganzes Wesen. Er sank auf das Sofa, um ihn einzuatmen; er dachte an sie lange, lange Zeit. Die Augen fielen ihm endlich zu, ohne daß er es merkte, und dann träumte er von ihr, bis er erwachte. Da schien die Sonne hell zum Fenster herein, und er merkte, daß er das Bett gar nicht berührt, sondern auf dem Sofa geschlafen habe, welches gestern begnadigt worden war, die Gestalt der Heißgeliebten zu tragen.
    Da unten auf dem Teppich lag die Schleife, die während des Schlafes seiner Hand entfallen war. Dies dünkte ihm eine sündhafte Entweihung, ein Sakrilegium, und er hob sie empor, um sie einzuschließen und aufzubewahren, bis sie beim Renkontre als Schutz und Talisman auf seinem Herzen liegen solle.
    Er unternahm eine Morgenpromenade in den Garten, und als er dann zum ersten Frühstück in das Speisezimmer kam, waren dort die anderen alle bereits versammelt. Er warf einen schnellen,

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