47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Füße hingen herab! Angeblich haben sie ›nur die schöne Aussicht genossen‹, sagte Madame Mika.«
»Die Aussicht von dort oben ist schön«, bemerkte Fürst Asano. Er hob einen Fächer auf, der auf seinem Tisch lag, und öffnete ihn, um das zu betrachten, was man darauf geschrieben oder gemalt hatte. Dann sah er wieder zu Haru und Oishi. »Haben sie Händchen gehalten?«
Die Dame Haru verzog das Gesicht, als habe sie in eine unreife Persimone gebissen. »Bestimmt nicht! Hätte ich das auch nur vermutet, hätte ich Euch selbstverständlich sofort ...«
»Meine Frau und ich haben dort oft Händchen gehalten, als wir jung waren.« Einen Herzschlag lang sah Fürst Asano wieder auf den Fächer und schien ihre Anwesenheit zu vergessen. Aber dann schloss er ihn mit einem Ruck und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Dame Haru. »Was Ihr eigentlich sagen wollt, ist: Meine Tochter benimmt sich wie ein verzogenes Gör. Ich dachte, es wäre an Euch, ein solches Verhalten zu unterbinden. Sie ist die Tochter eines
daimyō
, keine Göttin.«
»Ich ... nein – ich meine, ja, mein Fürst, wir haben immer versucht, sie zu der Tochter zu erziehen, die Ihr Euch wünscht ...«
»Und soweit ich das beurteilen kann, ist sie das auch«, sagte Fürst Asano mit einem aufmunternden Lächeln.
»Bis jetzt.« Die Dame Haru rang die Hände in ihrem Schoß. »Sie ist nie zuvor so ungehorsam gewesen und es scheint nur ...« Sie senkte erneut den Kopf.
»Ihr wollt mir also nicht sagen, dass der Junge ein
yōkai
ist, der sie mit einem Zauberspruch belegt hat?« Der Ausdruck in Fürst Asanos Gesicht verwandelte sich von amüsiert zu wachsam, bevor sie auch nur den Kopf heben konnte.
»Nein, mein Fürst«, beteuerte sie widerwillig. »Aber selbst wenn Kai nur ein Junge ist und niemandem etwas Böses will – so ist er doch ein
hinin
.«
Oishi zuckte zusammen, als die Kinderfrau das Wort aussprach, das bisher niemand vor Fürst Asano laut auszusprechen gewagt hatte – obwohl alle von der Andersartigkeit des Jungen überzeugt waren.
Hinin
hieß »nicht menschlich«, und selbst, wenn es nicht wörtlich gemeint war, spielte das keine Rolle. Es war ein Begriff, den man für den untersten Abschaum der Gesellschaft verwendete: ehemalige Sträflinge, Landstreicher, Mischlinge, Ausgestoßene aller Art – die unsichtbaren Leute, die an den Ritzen einer Gesellschaft lebten, in der Status und Rang alles war: sowohl die Identität eines Menschen als auch sein Schicksal. Selbst die Bettler in der Stadt Edo hatten eine eigene Zunft mit einem Anführer und unterwarfen sich dem Gesetz.
Hinin
dagegen hatten nichts.
»Der Junge versteht vielleicht nicht, was das heißt, aber Mika-
hime
sehr wohl. Wenn sie mit ihm gesehen wird, besonders ohne ihre Zofen – dann könnte er genauso gut ein Dämon sein.« Die Dame Haru schloss die Augen und schüttelte den Kopf, als sei allein der Gedanke daran unerträglich. »Bitte, mein Fürst – wir haben alles versucht, damit sie gehorcht. Sprecht mit ihr, nur dieses eine Mal – sie würde den Willen ihres Vaters respektieren, da bin ich sicher.«
Fürst Asanos Miene war jetzt ernst, ebenso wie seine Stimme, als er sagte: »Vielleicht habt Ihr recht, Madame Haru. Ich werde mit meiner Tochter sprechen. Und mit Kai.«
»Aber,
tono
, wird er überhaupt hören?«, wagte Oishi einzuwerfen. »Ist er überhaupt in der Lage zu verstehen, wie sehr er Madame Mika schaden könnte? Ihr solltet ihn fortschicken, um sicherzugehen, dass er ...«
»Kai wird es verstehen. Und ich glaube, er würde lieber sterben, als Mika in irgendeiner Weise zu schaden.« Lord Asano warf Oishi einen ungehaltenen Blick zu. »Er kennt seinen Platz, besser als meine Tochter, wie es scheint. Auch wenn er eines Tages so viel mehr sein könnte. Vergesst nicht, Oishi:
Hinin
ist kein Stand, in den man geboren wird – das Schicksal teilt ihn uns zu. Auch Ihr könntet so tief fallen, dass Ihr unsichtbar werdet für andere Menschen – aber mit genug Willenskraft könnt Ihr dieses Schicksal ändern, und damit auch Euer eigenes Leben. Ich glaube, dass Kai diese Kraft hat. Ich hoffe nur, dass Ihr dabei seid, wenn er es beweist, um es selbst zu sehen.«
Oishi verbeugte sich ein letztes Mal, um die Röte zu verbergen, die sich auf seinem Gesicht ausbreitete. Aber in seinem Verstand formte sich der rebellische Gedanke, dass es sicher eines gab, was er nie sehen würde – und das war ein Mischlingszwingerjunge, der die Tochter
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