47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
„Ich bin einmal bei ihm über Nacht gewesen. Er wird sich meiner wohl noch erinnern.“
„Das genügt. Vorwärts!“
Der Trupp setzte sich wieder in Bewegung und flog brausend von dannen. Der Jäger Grandeprise blickte ihnen finster nach.
„Der Teufel hole diese großen Herren!“ brummte er. „Wäre dieser ‚Geierschnabel‘ nicht dabeigewesen, so hätte das Examen viel länger gedauert. Was gehen mich andere Leute an? Ich habe mit mir selbst zu tun!“
Damit ritt er, ein Saumpferd neben sich führend, in etwas abweichender Richtung der Gegend zu, wo er etwas weiter unten als Juarez auf den Rio grande del Norte treffen mußte.
Jetzt hielten sich nicht Sternau und ‚Geierschnabel‘ allein an der Spitze; Mariano hatte sich zu ihnen gesellt. Er war fieberhaft erregt. Er ging ja einem Wiedersehen entgegen, welches er jahrelang nicht für möglich gehalten hatte. Sein Pferd lief fast über alle Kräfte, und doch war ihm der Galopp desselben noch viel zu langsam. Sternau bemerkte dies und sagte:
„Der Gaul ist kein elektrischer Funke, Mariano. Laß ihm Luft, sonst bricht er unter dir zusammen.“
„Vorwärts!“ war die einzige, ungeduldige Antwort.
Die Pferde der beiden anderen waren ausgezeichnete Läufer. So kam es, daß die drei anderen eine bedeutende Strecke vorauskamen.
Es mochte fast gegen Mittag sein. Sternau musterte zufälligerweise den Horizont, und dabei bemerkte sein Auge eine Bewegung an der äußersten Gesichtslinie. Er hielt sofort sein Pferd an und zog sein Fernrohr hervor.
Auch die beiden Gefährten parierten ihre Pferde.
„Was gibt es?“ fragte Mariano, ärgerlich über diese Zögerung.
„Es kommen Reiter“, antwortete Sternau.
„Viele?“
„Ziemlich, und zwar gerade auf uns zu.“
„Vom Fluß her?“ fragte ‚Geierschnabel‘ schnell. „Das könnte ja nur Cortejo mit seinen Leuten sein. Geben Sie mir einmal das Fernrohr.“
Er erhielt es und blickte hindurch. Die Reiter waren unterdessen nähergekommen, und das Glas war ein ausgezeichnetes.
„Ich lasse mich hängen, wenn das nicht Cortejos Leute sind“, sagte er.
„Sehen Sie das genau?“ fragte Sternau.
„Nicht ganz, dazu sind sie noch zu weit entfernt.“
„So warten wir es ab!“
Da langte auch Juarez mit den anderen bei ihnen an.
„Was ist es?“ fragte er.
„Da vorn kommen Leute, welche ich für Cortejos Reiter halte“, antwortete ‚Geierschnabel‘.
„So kämen sie zurück?“
„Ja.“
„Haben Sie sie genau erkannt?“
„Ich vermute es einstweilen, doch werde ich mich wohl nicht irren, kalkuliere ich.“
„Was tun wir, Señor Sternau?“
„Wir gehen da links hinter das Buschwerk und bilden drei Abteilungen, eine vorn, eine in der Mitte und eine hinten. Das erste und dritte hat den Feind zu umflügeln, sobald ‚Geierschnabel‘ das Zeichen gibt. Vorwärts!“
Die ganze Truppe zog sich hinter die Büsche zurück und gehorchte der Einteilung, welche Sternau getroffen hatte. ‚Geierschnabel‘ hielt neben diesem. Er rückte unruhig im Sattel hin und her und sagte:
„Señor, darf ich mir einen Spaß machen?“
„Welchen?“
„Ich bin diesen Leuten gestern ausgerissen. Sie sollen das Vergnügen haben, mich wieder zu fangen.“
„Das ist zu gefährlich für Sie.“
„Pah! Bitte noch einmal Ihr Rohr.“
Er fixierte jetzt hinter den Zweigen hervor die Nahenden zum zweiten Mal und sagte dann, indem er das Fernrohr zusammenschob:
„Sie sind es!“
„Wissen Sie es genau?“
„Ja. Der, welcher voranreitet, ist der Kerl, welcher sich für einen Boten des Präsidenten ausgab. Señor, laßt mir meinen Spaß!“
Damit stieg er ab und zog sein Pferd vor den Busch hinaus. Das Tier begann sofort, das Blätterwerk abzufressen. Er selbst setzte sich in das Gras, schob den Zylinderhut in das Genick und spannte den Regenschirm über sich auf. Das hatte ganz das Aussehen, als habe er schon sehr lange Zeit hier gesessen. Übrigens kehrte er den Nahenden den Rücken zu. Den Zwicker auf der Nase, schien er ganz in sich vertieft und von den Herankommenden gar keine Ahnung zu haben.
Sie hatten ihn bis jetzt noch nicht bemerkt. Nun aber waren sie in solche Nähe gekommen, daß er gesehen werden mußte. Der Anführer hielt ganz erstaunt sein Pferd an und sagte:
„Alle Teufel, schaut dorthin, dort sitzt einer auf der Erde!“
Sie folgten seinem ausgestreckten Arm und erblickten ein Pferd, welches an einem Busch herumknusperte, und einen großen Regenschirm, welcher nach hinten gelehnt war,
Weitere Kostenlose Bücher