47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
gönnte den beiden dieses Glück nach so langem Leid; sie sollten das Wiedersehen allein und ungestört genießen; er sprang in das Boot und befahl leise, ihn an das Ufer zu bringen, wo er die anderen begrüßen wollte.
Die beiden Liebenden hielten sich aneinandergedrückt, als ob sie nimmer und nimmer wieder voneinander lassen wollten. Ihre Lippen suchten und fanden sich unzählige Male, bis endlich Mariano sich erinnerte, daß er dem Vater der Geliebten gegenüber die Höflichkeit versäume. Er blickte auf.
„Wo ist Papa?“ fragte er.
Jetzt erinnerte auch sie sich an die Gegenwart.
„Hier!“ antwortete sie, sich nach der Stelle wendend, wo der Lord zuletzt gestanden hatte. „Ah, wo ist er hin?“ fragte sie, als sie ihn dort nicht mehr sah.
„Dort! Dort draußen fährt er!“
Sie blickte nach der angedeuteten Richtung und sah ihn im Boot sitzen.
„Der Gute!“ sagte sie. „Er wollte uns das Wiedersehen – – –“
Sie hielt inne. Ihre Augen fielen jetzt zum erstenmal mit vollem Bewußtsein auf den Geliebten, und was sie da sah, das machte sie verstummen.
War dies der Mariano, den sie früher gekannt hatte? Ja, er war es, noch ganz derselbe, und doch um wie viel anders! Wie stark, kräftig und männlich war er geworden! Welches Selbstbewußtsein glänzte aus seinem Auge, welch eine Hoheit thronte auf seiner Stirn. Sein früher noch jugendlich rosiges Gesicht hatte jetzt eine bleiche feine Farbe und wurde von einem dichten, prächtigen Bart umrahmt. Er war schön, sehr schön, so wie sie noch gar keinen Mann gesehen hatte, wie sie gar nicht geglaubt hatte, daß es ein Mann sein könne.
Und sie? Sie stand nicht mehr in der ersten Jugendblüte, aber es war aus der lieblichen eine blendende Schönheit geworden, voll, üppig, und doch so rein und frisch wie ein Rosenblatt im Morgenhauch. Das war eine völlig unberührte Weiblichkeit. Er sah es; er sah ihr Auge liebestrahlend auf ihm ruhen; er sah ihren Busen wogen und ihre Lippen sich halb öffnen wie zum abermaligen Kuß, und da zog er sie wieder an das Herz.
„Amy, mein Leben, meine Seligkeit!“ flüsterte er.
„Mariano, mein Einziger, mein Geliebter!“ antwortete sie.
„Dieser Augenblick wiegt alles, alles auf!“
„O, du Armer, Armer, Armer! Was werde ich alles hören müssen, was du erlitten und erduldet hast!“
Und dabei perlten ihr die heißen Tränen über die Wangen herab.
„Und du Gute, Treue, Geduldige! Wie wirst du gewartet haben, gehofft und geharrt auf meine Wiederkehr. Und doch konnte ich nicht kommen!“
„Aber du dachtest an mich?“
„Millionen Male! Und du?“
„Mein ganzen Leben war ein einziges großes Gebet für deine Rettung.“
„Gott hat dich erhört, denn Engel beten nie vergebens.“
„O, es haben noch andere für euch gebetet, Mariano.“
„Sie alle werden noch glücklich sein. Aber da kommt Papa zurück!“
Als der Lord landete, trat zunächst ‚Geierschnabel‘ auf ihn zu.
„Mylord, hier bringe ich Ihren Anzug zurück“, sagte er. „Es wurde gar nichts daran ruiniert, obgleich das ein wahres Wunder ist!“
„Behalten Sie ihn, wenn Sie ihn so gern haben.“
„Danke, Sir! Solche Kleider kann ich nicht gebrauchen. Ich würde mit den Beinen in die Rockärmel und mit den Armen in die Hosenbeine fahren. Meine alten Lumpen sind bequemer. Aber hier ist Señor Sternau.“
Der Genannte stand vor ihm in seiner ganzen Breite und Höhe. Das milde Auge leuchtete in reinster Freude aus dem ernsten Gesicht heraus.
„Mylord!“
„Herr Doktor!“
Mit diesen beiden Rufen öffneten sie die Arme und lagen einander dann am Herzen. Das waren zwei Männer, welche ihren gegenseitigen Wert kannten.
„Der Herr segne Ihren Eingang in das neubegonnene Glück, Herr Doktor, und lasse Freuden sprießen ohne Zahl aus den erduldeten Leiden!“
„Ich danke Ihnen, Mylord! Es kommt ein Morgen nach jeder Nacht. Ich habe mich nach diesem Morgen gesehnt, wie der reuige Sünder nach dem Trost der Vergebung, und Gott ist barmherzig gewesen. Aber vergessen wir Señor Juarez nicht, welcher Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit erheben wird.“
„O, ich habe nichts zu tun, als um Verzeihung zu bitten, daß ich gezwungen bin, Zeuge Ihres Wiedersehens zu sein“, sagte der Präsident mit mildem Ernst. „Sie gehören jetzt sich, und ich ziehe mich zurück.“
„Nein!“ sagte Sternau. „Der Augenblick gebietet über uns. Er ist unser aller Herr und Meister, dem wir gehorchen müssen. Sagen Sie, Mylord, wußten Sie,
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