47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
Munde erklang ein Name:
„‚Geierschnabel‘.“
„Ja, ‚Geierschnabel‘. Habe die Ehre, Mesch'schurs und Señores“, sagte er unter einer abermaligen Verbeugung.
Dabei klappte er den Regenschirm zu, spießte ihn in die Erde, stülpte den Hut darüber und riß den Rock herunter, den er über den Hut legte.
„Verdammte Kledage!“ fluchte er. „Einmal Engländer gespielt, aber niemals wieder, meine Herren.“
„Sie haben den Engländer gespielt?“ fragte Juarez erstaunt.
„Ja, Sir.“
„Warum?“
„Um mich fangen zu lassen.“
„Ah! Ich verstehe Sie nicht. Sie wollten sich fangen lassen?“
Der Mann zog seine Rolle Kautabak hervor, biß ein Stück davon ab und antwortete:
„Ja. Und ich war auch gefangen.“
„Wann?“
„Gestern.“
„Wo?“
„Am Rio del Norte.“
„Von wem?“
„Von einem gewissen Pablo Cortejo.“
„Pablo Cortejo?“ fragte Sternau. „Ich denke, der ist am San Juano.“
„O nein, Sir! Wenn Sie ihn sehen und fangen wollen, so sollen Sie ihn bereits kurz nach Mittag haben.“
„Erzählen Sie, erzählen Sie! Sie haben Sir Lindsay doch in El Refugio glücklich getroffen?“
„Das versteht sich, und wir sind sofort nach dem Sabina aufgebrochen.“
Er erzählte nun weiter bis zu seinem gestrigen Abenteuer.
„Ich bin die ganze Nacht geritten, so scharf, daß ich sogar vergessen habe, ein Stück Virginia in den Mund zu nehmen“, fuhr er fort.
„Der Lord erwartet uns also an jener Flußkrümmung?“ fragte Juarez.
„Ja, Señor.“
„Er kommt nicht nach hier?“
„Nein; denn ich sagte ihm, daß ich Sie holen werde.“
„Und was sagten Sie von Cortejo? Er sei blind?“
„Ich hoffe, daß er es ist. Ich habe ihm beide Revolver mit aller Gewalt in die Augen gestoßen. Er kann Ihnen gar nicht entgehen.“
„Werden seine Leute den Lord nicht angegriffen haben?“
„Jedenfalls. Doch bin ich überzeugt, daß er sich wie ein Mann verteidigt hat.“
„Und wenn seine Ladung doch in ihre Hände gefallen ist.“
„So holen wir uns sie wieder, Señor.“
„Brechen wir auf. Können Sie uns führen, oder sind Sie zu ermüdet?“
„Ermüdet?“ fragte er, indem er einen Tabaksstrahl an der Nase des Präsidenten vorüberspritzte. „Geben Sie mir nur ein anderes Pferd.“
Es wurde ein kurzer Kriegsrat gehalten, dessen Ergebnis war, daß ein Teil der Leute bei den Pferden zurückbleiben, die anderen sofort aufbrechen sollten, um dem Lord zu Hilfe zu kommen.
Eine Viertelstunde nach Ankunft ‚Geierschnabels‘ brauste die Truppe im schnellsten Galopp über die Ebene dahin, Sternau mit ‚Geierschnabel‘ als Führer an der Spitze. Dieser letztere hatte den Zylinder wieder auf und hielt den aufgespannten Regenschirm über dem Kopf.
„Machen Sie ihn doch zu“, sagte Sternau lachend.
„Warum?“
„Es reitet sich ja schwerer.“
„Ich habe ihn aber doch einmal.“
„Deshalb ist es aber doch nicht notwendig, ihn aufzuspannen.“
„Ein Schirm ist da zum Aufspannen, aber nicht zum Zumachen. Ich habe ihn, und da nehme ich ihn auch in Gebrauch, wie es sich gehört.“
Sie mochten wohl zwei Stunden unterwegs sein, als ein Reiter vor ihnen auftauchte, welcher ihre Richtung durchkreuzte. Ehe er sich's versah, war er umringt, doch schien ihm das weder Angst noch Sorge zu bereiten. Er war ein Mann von mittlerer Statur, über fünfzig Jahre alt und von der Sonne tief gebräunt. Juarez fragte ihn:
„Kennt Ihr mich, Señor?“
„Ja.“
„Ah, das hätte ich nicht gedacht. Wer bin ich?“
„Sie sind Juarez, der Präsident.“
„Gut. Wer sind Sie?“
„Ich bin ein Jäger.“
„Woher?“
„Drüben von Texas. Ich hause am linken Ufer des Stromes.“
„Wie heißen Sie?“
„Grandeprise.“
„So sind Sie ein Franzose?“
„Ein Yankee französischer Abkunft.“
„Wohin wollen Sie?“
„Nach Hause.“
„Woher kommen Sie?“
„Von Cohahuila.“
„Sie haben mich dort gesehen?“
„Ja.“
Juarez betrachtete ihn noch einmal mit scharfem Auge und fragte:
„Ist Ihnen der Name Cortejo bekannt?“
„Ja.“
„Woher?“
„Ich habe ihn in Cohahuila gehört.“
„Den Mann selbst kennen Sie wohl auch, oder nicht?“
„Nein.“
„Wann sind Sie von der Stadt aufgebrochen?“
„Gestern früh.“
„Ist Ihnen ein bedeutender Trupp Reiter begegnet?“
„Nein.“
„Oder kam Ihnen sonst etwas Verdächtiges vor?“
„Nein.“
„Kennt einer von uns diesen Mann?“
„Ja, ich kenne ihn“, antwortete ‚Geierschnabel‘.
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