47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
übereinander preßte, um das Klappern ihrer Zähne nicht hörbar werden zu lassen.
„Ihr seid nicht meine Richter“, sagte sie.
„Wer denn, meine schöne Señorita?“
„Ihr habt nicht das Recht, mich zu verurteilen. Dazu ist die Obrigkeit da.“
„Ah! Bist du vielleicht Obrigkeit!“
„Ich? Warum diese Frage?“
„Weil du Señor Arbellez verurteilt hast und dieses Urteil dann auch ausführen ließest. Wir beanspruchen nur dasselbe Recht wie du.“
„Das steht euch nicht zu! Ihr seid nur Jäger; ich aber bin die Tochter des zukünftigen Präsidenten.“
„Seit wann dürfen die Töchter der Präsidenten richten und Urteil sprechen? Übrigens machst du dich ungeheuer lächerlich. Dein Vater ist ein Schurke, den wir noch fassen werden, und du bist nichts als der Inbegriff aller Häßlichkeit und Schändlichkeit. Du bist ein ekelhafteres Gewürm als die Krokodile, denen wir dich als mageren Bissen vorwerfen werden.“
Das hatte ihr noch niemand gesagt, aber dennoch fühlte sie keine Entrüstung über diese Beleidigung. Die Angst hatte ihren Stolz gebrochen. Sie fühlte sich als Staub, als ohnmächtige Kreatur. Darum bat sie:
„Habt Erbarmen! Arbellez ist ja nicht gestorben!“
„Wir werden dasselbe Erbarmen haben, welches du gehabt hast!“ antwortete ‚Büffelstirn‘. „Paß auf!“
Er legte die Hände an den Mund und stieß den klagenden Ton aus, welcher als Krokodilsruf bekannt ist. Sofort geriet die vorher so ruhige Oberfläche des Wassers in Bewegung. Hier und da hatte man in der Nähe des Ufers etwas hervorragen sehen, einen dunklen Baumstumpf, einer großen Wurzel oder einem schwarzen, unförmigen Stein ähnlich. Jetzt bekamen diese Punkte Leben; es zeigte sich, daß es die Köpfe schlummernder Krokodile gewesen seien. Die Tiere kamen herbeigeschossen, drängten sich, Kopf an Kopf, dicht zusammen, peitschten das Wasser mit ihren Schwänzen und klappten die weiten Rachen auf, um die fürchterlichen Zähne zu zeigen und dann die Kinnladen mit einem lauten Krachen wieder zusammenzuschlagen. Es war ein scheußlicher Anblick.
Josefa überlief es eiskalt. In diese Rachen, welche von allerlei Gewürm und Blutegeln wimmelten, sollte sie verschwinden, in Stücke zerrissen durch die spitzen, dolchartigen Zähne. Schon der moschusartige Gestank, den diese Bestien ausströmten, konnte einem das Bewußtsein rauben, und nun erst der Gedanke, von ihnen zerstückelt und verschlungen zu werden.
„O Santa Madonna!“ rief Josefa. „Ihr treibt nur einen furchtbaren Scherz mit mir. Es ist gar nicht eure Absicht, mich diesen Scheusalen vorzuwerfen.“
„Nein, vorwerfen werden wir dich ihnen nicht“, antwortete ‚Büffelstirn‘. „Dein Leiden wäre da zu kurz. Du hast einen ganz anderen Tod verdient. Du kennst Alfonzo, der sich einen Rodriganda nennt?“
„Ja“, antwortete sie.
„Du weißt, daß er auf der Hacienda del Erina gewesen ist?“
„Ja.“
„Hast du gehört, was er da erlebte?“
„Er hat es mir erzählt.“
„Hat er dir auch erzählt, daß er über den Krokodilen gehangen hat?“
Schon die Erinnerung machte, daß es sie kalt überlief.
„Ja“, antwortete sie.
„An einem Baum?“
„Ja.“
„Damals ist er leider entkommen; das soll aber bei dir nicht der Fall sein. Siehe diesen Baum! Es ist derselbe, an welchem er gehangen hat.“
Sie blickte empor. Sie sah den Stamm, der sich vom Ufer aus schräg über das Wasser hinüberstreckte; sie sah den Ast, welcher wie dazu gewachsen war, einen Menschen für die Krokodile daran niederzulassen. Sie schloß die Augen. Es war ihr, als ob ihr ganzer Leib, ihre ganze Seele in tausend Atome auseinanderfließe.
„An jenem Ast wirst du hängen“, fuhr der Mixteka fort. „Die Krokodile sollen dich nicht auf einmal verschlingen, sondern sie sollen dich stückweise auseinanderreißen.“
„Gnade!“ stöhnte sie, ohne die Augen zu öffnen.
„Gnade?“ hohnlachte er. „Hast du jemals Gnade ausgeübt?“
„Ich verspreche euch, mich zu bessern!“
„Du kannst nie besser werden. Wenn wir dir das Leben schenken, würdest du schlimmer als vorher gegen uns wüten!“
„Laßt mir das Leben, so will ich euch alles bekennen!“
„Was?“
„Was ich begangen habe!“
„Wir mögen es nicht wissen.“
„Auch was mein Vater und mein Oheim begangen haben!“
„Wir wissen es bereits.“
„Ich werde euch alles über Henrico Landola erzählen!“
„Wir mögen über den Schurken gar nichts wissen.“
„Ihr sollt erfahren,
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