5 1/2 Wochen
beobachten. Der liebenswürdige Señor, der mich gerettet hat, ist nicht mehr da. Ruddi liegt selig in seinem „Taschen-Bett“ zu meinen Füßen. Er hat bereits die wohlverdiente Nacht angesetzt.
So gegen 22 Uhr krieche ich die Treppen zu meinem Zimmer hoch. Die Wäsche bleibt heute liegen. Ich kann und will nicht mehr. Morgen ist auch noch ein Tag. Wenn es nicht regnet, wasche ich morgenfrüh bevor ich gehe und trockne die Wäsche am Rucksack. Erschöpft falle ich in das gemütliche Bett und schlafe auf der Stelle ein.
Mittwoch, 30. April 2008
Villalbilla de Burgos (720 Einwohner), 833 m üdM, Burgos
16. Etappe bis Hontanas, 25 km
Völlig entspannt wache ich am Morgen auf und beschäftige mich als erstes mit meiner am Vorabend vernachlässigten Kleidung. Nach einer liebevollen Handreinigung dekoriere ich gekonnt meinen Rucksack mit ihr. Um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen stecke ich meine „Pilger-Reizwäsche“ in die Seitennetztaschen. Nicht, dass mir da einer falsche Schlüsse zieht, wenn sie bei meiner Wanderung „sinnlich“, von einer leichten Brise animiert, genussvoll hin und her schwingt.
Gegen halb neun sitze ich bei einem gemütlichen Frühstück in der Hotelbar. Ruddi darf noch ein bisschen in seiner Tasche schlafen. Er soll bis zu meiner „Abreise“ unser kleines Geheimnis bleiben, schließlich wollen wir das „No-Perro-Schild“ an der Eingangstür achten. Ich schmunzele bei dem Gedanken an das weit verbreitete deutsche Vorurteil, dass die Spanier Hunde hassen. Auf dem Jakobsweg spüre ich nichts davon. Im Gegenteil: Sie widersetzen sich fast immer den ihnen, wahrscheinlich amtlich, auferlegten Vorschriften und lassen uns einkehren und übernachten. Der hiesigen Hotelbesitzerin schicke ich in Gedanken nochmal ein ganz fettes DANKE FÜR ALLES. Leider ist sie weit und breit nicht zu sehen.
Voller Erwartung machen wir uns gegen neun Uhr an die heutige Etappe. Jetzt geht es ab in die Meseta. Die knapp 180 Kilometer durch die Hochebene zwischen Burgos und León fahren viele Pilger mit dem Zug. Es heißt, es sei zu langweilig, zu heiß, zu trocken und zu einsam auf den langen Streckenabschnitten zwischen den Dörfchen.
Ich mache mir so meine Gedanken über diese Meinungen: Was meinen die denn mit „zu langweilig“? Für mich ist es spannend, in Ermangelung anderer Pilger die Einheimischen kennenzulernen oder in einer kleinen Bar zu sitzen und den Ort einfach auf mich wirken zu lassen, das außergewöhnliche, so vollkommen andere Leben und die Energie dieser Menschen hier nachzufühlen, in aller Ruhe die letzten Kilometer in all ihrer Vielseitigkeit auf mich wirken zu lassen. Ob es in der Meseta zu heiß ist, hängt ja wohl vom Wetter ab. Solange die Sonne nicht erbarmungslos knallt, halten Ruddi und ich das gerne durch. Zu trocken? Damit ist gemeint, dass es auf den langen Abschnitten zwischen den Dörfern keine Trinkwasserbrunnen geben soll. Ja und? Da nehme ich mir doch glatt ne XXL-Flasche Wasser mit. Ich durchquere ja nicht die Sahara, sondern die Meseta in Nordspanien. Tja, die Einsamkeit - sucht sie nicht der Pilger? Ach ja, jeder Wallfahrer hat ja eine andere Vorstellung von „seinem Weg“- Ich gehöre zu der Gattung, die die Einsamkeit meist sehnsüchtig erwartet und genießt. Ich habe jetzt ein gutes Drittel des Camino Francés zurückgelegt und festgestellt, dass jeder Tag ein Wechselbad der Gefühle und Erfahrungen erzeugt. In einem Moment ist man einsam und verlassen und im nächsten trifft man in einer Ortschaft, oder der darin liegenden Bar, Menschen, die einen freudig begrüßen. Seien es nun „Artgenossen“ oder die Ansässigen. Es herrschen immer Trubel und Heiterkeit.
In Rabé de las Calzadas genehmige ich mir nach sechs Kilometern einen Café con leche und kaufe die eben erwähnte Wasserflasche, denn der nächste Abschnitt erstreckt sich über acht Kilometer bis nach Hornillos del Camino. Erstaunlich fit machen wir uns daran. Der Himmel ist gnädig, er lässt seine Wolken über uns hinweg ziehen und so laufen mein kleiner schwarzer Vierbeiner und ich auf Hochtouren - im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Wege durch die Meseta liegen knapp 1000 Meter über dem Meeresspiegel.
Ich kann es kaum fassen, aber ich bin in den letzten 16 Tagen fast 300 Kilometer gelaufen. Ruddi spielt bestens mit, mein Rucksack beinhaltet alles, was ich brauche und ich selbst habe die eine oder andere körperliche Grenze überschritten. Achim und Oliver sind schon wieder in
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