5 1/2 Wochen
Wanderführer. Der Weg wurde wahrscheinlich verlegt, denn ich laufe nun seit endlosen Kilometern auf einer ganz frisch geteerten, mittelmäßig befahrenen Landstraße und sehne die Stadt quasi herbei. Der Asphalt hat viel Hitze gespeichert und gibt mir reichlich davon ab. In diesem Moment Vergesse ich ganz, dass sich das in der Stadt bestimmt nicht besser anfühlt.
Endlich befinde ich mich auf der schnurgeraden Straße durch das Industriegebiet. Das Ende ist nicht abzusehen. Auto an Auto, LKW an LKW rauschen an mir vorbei. Es war mir noch nie so klar, wie viel Energie mir der Autolärm nimmt. Ruddi muss natürlich an der Leine laufen. Wir schleppen uns so dahin. Ich versuche, so gut es geht abzuschalten und das für mich Unvermeidliche zu tun. Einfach weitergehen, nicht darüber nachdenken, den Lärm und den Gestank ignorieren. Ich mache mir klar: „Der Weg wächst im Gehen, unter Deinen Füßen, wie durch ein Wunder. Du schaffst das!“
Verzweifelt suche ich eine Möglichkeit, einzukehren. Aber hier ist nichts. Ich erreiche eine Bank an einer Bushaltestelle und setze mich ganz langsam und vorsichtig darauf. Mein Körper reagiert auf den Stress mit Steifheit und Bewegungsschmerz. Zu allem Überfluss ist es auch noch sehr heiß geworden. Ich nehme Ruddi auf meinen Schoß und wir trösten uns gegenseitig. Wie lange noch? Seit einiger Zeit ist zwar das Ende dieses Horrortrips abzusehen, aber ich habe das Gefühl, dass es nicht näher kommt. Nach nur wenigen Minuten laufen wir weiter. Hier zu sitzen, macht die Sache nur noch schlimmer und zögert die Beendigung dieses Ganges nach Canossa heraus.
Mit letzter Kraft erreiche ich die Stadt und die erste Bar gehört mir. Bei einem Fruchtsaft wird mir erst klar, dass ich heute schon mindestens 20 Kilometer gelaufen bin. Ich werfe einen besorgten Blick auf meinen Hund, der sich gemütlich in seine Decke gemummelt hat. Er hat sich wohl fest vorgenommen, dieses große Abenteuer von Anfang bis Ende mit mir zusammen durchzustehen, egal was passiert. Meine Mutter ist schon immer der Meinung gewesen, dass Ruddi, wenn er sprechen könnte, sagen würde: „Mama, mach alles was Du willst, aber nimm mich bitte mit. Ich halte durch. Hauptsache, ich darf dabei sein!“ In der Tat kennt er es, seit er im Alter von elf Wochen zu mir kam, nicht anders. Wenn nur irgend möglich ist er dabei - auch in Situationen, wo andere ihren Hund zu Hause lassen würden. Ich habe durch mein Ansinnen, ihm diesen Wunsch zu erfüllen, in den letzten Jahren sehr viel Fantasie entwickelt. Es ist unglaublich, was dieses kleine Wesen schafft. Ich weiß, dass er eine sehr gute Kondition hat, aber was er in den letzten beiden Wochen geleistet hat, muss ihm erst mal einer nachmachen. Ich habe übrigens noch keinen anderen Pilger getroffen, der mit Hund unterwegs ist.
Wir gönnen uns in diesem „Club“ eine gute Stunde Pause. Ich beobachte derweil ein bisschen die städtischen Spanier, die in diesem Lokal ein- und ausgehen. Burgos hat fast 170.000 Einwohner. Nach über zwei Wochen Pilgertum fühle ich mich wie in einer Millionenstadt. Die Menschen sind zwar anders gekleidet und frisiert als auf dem Land, aber die Gelassenheit und gute Laune haben sie hier anscheinend genauso wie außerhalb.
Ich quäle mich durch die Stadt. Gegen 16 Uhr passiere ich die beeindruckende Kathedrale von Burgos. Sie ist wirklich imposant. Ich habe sogar Lust, sie mir von innen anzusehen. Aber es liegen noch gute sieben Kilometer vor mir. Mit dem heutigen körperlichen Zustand brauche ich ein bisschen länger, deshalb setze ich also besser meinen Weg fort.
Im Zentrum der Stadt fällt mir ein, dass meine Freunde hier gestern Abend eine Abschiedsparty gefeiert haben und ich will herausfinden, wo sich die Herberge am Fluss, in der sie übernachtet haben, befindet. Ich betrete aus diesem Grund noch einmal ein Lokal und frage den Wirt. Der ist unerwartet unfreundlich und mag meinen treuen vierbeinigen Begleiter gar nicht. Mit einem grimmigen Gesicht und einer abwinkenden Handbewegung Richtung Straße, macht er mir deutlich, dass ich wieder gehen soll. Wahrscheinlich strahle ich aus, dass ich den Gang durch die Stadt nicht mag und sowieso nur noch schnellstens hier weg will. Also benimmt er sich meinen Gedanken entsprechend und zwar so mies, dass mich hier rein gar nichts mehr hält. Ich erfahre aber, wenn auch kurz und knapp, dass ich nur über die gegenüberliegende Brücke gehen muss, um zu der schönsten Herberge in Burgos, die
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