5 1/2 Wochen
genieße schon seit geraumer Zeit die Nähe des Wassers. Ich konzentriere mich auf die Geräusche, die die Natur so hergibt, beobachte die Vögel und denke an die netten Herbergsleute, die es uns so gut gehen ließen. Der pfiffige und lustige Toni kommt mir auch nochmal in den Sinn. Jetzt endlich fällt der Groschen: „Ruddi ist mittlerweile seit acht Jahren mit mir zusammen unterwegs und hatte gestern seine erste schlechte Erfahrung mit einem anderen Hund. All die vielen anderen tierischen Begegnungen waren immer harmonisch. Weshalb mache ich mir also Sorgen? Das ist ja wohl voll daneben, oder?
Wieder gefasst, schaue ich in die Richtung des Joggers mit seinem Perro-Kumpel und staune nicht schlecht. Während ich mich abgelenkt habe, sind Ruddi und der fremde Vierbeiner sich schon längst näher gekommen. Sie beschnuppern sich schwanzwedelnd von oben bis unten - Klein-Ruddi muss hüpfen, um die Körperstellen seines Artgenossen zu erreichen, die ihn interessieren - erzählen sich was und markieren in völliger Übereinstimmung den einen oder anderen Stein am Wegesrand. Ja, so kenn ich ihn, meinen kleinen „großen“ Hund! Immer freudig bereit, neue Bekanntschaften zu machen. Ich bin glücklich und erleichtert, dass die gestrige Erfahrung diesen Wesenszug an ihm nicht beeinflusst hat. Das sportliche Herrchen des Hundes begrüßt mich mit einem atemlosen „qué tal“, lässt sich jedoch nicht aufhalten und zieht sein Trainingsprogramm durch. Daraufhin machen Schnurzel und ich eine kurze Rast. Ich stelle meinem Freund wieder seinen Wassernapf bereit, den er zum wiederholten Mal an diesem Morgen komplett leer säuft. Er wird nie wieder Räucherware von mir bekommen. Wie ich aus eigener Erfahrung weiß, ist Durst schlimmer als Hunger.
Gegen halb zwölf erreichen wir nach knapp 14 Kilometern Frómista. Die Hauptstraßen sind zwar sauber und schön begrünt, aber dieser Ort vermittelt mir trotzdem Unruhe und Stress, Unzufriedenheit, Unwohlsein. Es ist ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich empfinde nichts von „angekommen sein“ oder „ich war schon mal hier“. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Einwohner nicht glücklich sind.
Im ersten Supermarkt kaufe ich Wasser und einen Snack für mich und meinen Kumpel. Die Verkäuferin ist sehr beschäftigt und hat überhaupt keine Lust, sich mit ihren Kunden abzugeben. Mürrisch kassiert sie die wenigen Leute ab. Mit ernsten oder genervten Mienen betreten oder verlassen die Einheimischen diesen Laden. Was ist mit der sonst üblichen spanischen Gelassenheit und dem Frohsinn der Camino-Anwohner passiert? Vor dem Laden steht eine Bank, die zum Ausruhen einladen soll. Zwei mir fremde Pilger haben sich Obst gekauft und sich auf ihr niedergelassen. Selbst diese beiden sind nicht besonders gesprächig, wirken ebenfalls genervt und unklar, ob das der richtige Platz für sie ist. Was ist denn hier los? Habe ich irgendwas verpasst?
Fast gleichzeitig setzen wir unseren Weg durch die kleine Stadt fort. Hier herrscht sehr viel Durchgangsverkehr. Viele LKW donnern an uns vorbei. Sie wollen zur nahe gelegenen Nationalstraße und es scheint so, als nähmen sie im Ort schon mal Anlauf für die Weiterfahrt auf der Schnellstraße. Passanten gibt es hier kaum, was ich gut nachvollziehen kann. Ich bin erleichtert, als ich nach dem Überqueren der Hauptstraße eine Bar entdecke und will mir und dem Ort doch noch eine Chance geben. Die beiden anderen Pilger haben die gleiche Idee und setzen sich in den gnadenlos überfüllten Außenbereich des Cafés direkt neben der „innerörtlichen Autobahn“. Es herrscht Hochbetrieb. Die vielen Rucksäcke und die Worte, die ich im Vorbeigehen aufschnappe, erinnern mich an Saint Jean Pied de Port. Die Gäste in diesem Café sind überwiegend Pilger. Ich höre raus, dass sie mit dem Zug angereist sind und zum großen Teil ihre Wallfahrt hier erst beginnen. Das erschließt sich mir auch, denn ich hätte mindestens einen von ihnen unterwegs sehen müssen, wenn sie gelaufen wären. Außerdem sind sie noch so blass um die Nase und die Rucksäcke sehen zum großen Teil wie neu aus. Die eindeutigsten Zeichen für „Neuankömmlinge“ sind das wilde und ziellose Blättern in den Reiseführern und ihre angespannte Körperhaltung. Der vom Laufen müde Pilger, lehnt sich genüsslich zurück oder strahlt zumindest Erleichterung über eine Sitzgelegenheit aus.
Ich ziehe es vor, mich drinnen aufzuhalten, wo ich zumindest vor dem Lärm der LKW Schutz
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