5 1/2 Wochen
Morgen fühle. Nachdem die Señora mir einen Café con leche nebst warmem Croissant an den Tisch gebracht hat, genießen wir beide den Anblick unserer herumtollenden Hunde.
Heute will ich wieder fast 28 Kilometer laufen. Ich habe mich entschieden, in dieser meist flachen Region meinen Tagesschnitt ein bisschen zu erhöhen. Wie immer, schau ich mir meinen Reiseführer genau an. Heute erwarten mich hinter Frómista gute zwölf Kilometer, die sich eng an eine Provinzstraße schmiegen. Ich darf gespannt sein, wie viel Verkehr auf diesem Weg herrscht. Hoffentlich kann Ruddi ohne Leine laufen. Wir werden sehen!
Jetzt freue ich mich zuerst einmal auf Frómista. Ich habe diesen Ort mit seinem Bahnhof im Fernsehen gesehen und es kommt mir gerade so vor, als würde ich heute eine Stadt besuchen, in der ich schon mal gewesen bin. Vor Beginn meines Pilgerwegs habe ich mir einige Filme angeschaut und in einem wurde dieser Ort ausführlicher gezeigt. Das löst in mir das Gefühl aus, dass mir heute nichts passieren kann, weil ich ja schon weiß, wo ich hingehe. Ich kenn mich ja aus! Was weiß ich, wo diese übertriebene Emotion herkommt. Aber es ist nun mal so.
Bevor ich mich auf den Weg mache, drückt mir der liebenswerte Herbergsvater noch einen großen Frühstücksbeutel mit Tonis Trockenfutter in die Hand. Er will nicht, dass ich ein ganzes Paket kaufen muss, das sei seiner Meinung nach viel zu schwer. Tief berührt bedanke ich mich bei ihm und seiner Frau für die sagenhafte Gastfreundschaft mir und meinem Hund gegenüber. Nach dem rührenden Abschied begleitet uns Toni noch bis zum Ortsrand und läuft nach einem kurzen „Adiós-Beller“ wieder zurück zu Herrchen und Frauchen.
Ich bin jetzt in der Provinz Palencia unterwegs. Die Sonne scheint aus einem strahlendblauen Himmel. In mir kommt sofort der tiefe Wunsch nach großen, Schatten spendenden Bäumen am Wegesrand auf. Nach ein oder zwei Kilometern finde ich diese dann auch prompt vor. Wie war das noch mit dem Universum? „Dein Wunsch ist mir Befehl!“ Ich kann dieser Aussage aus fester Überzeugung nur zustimmen. Es funktioniert immer! Aber Vorsicht, es klappt auch mit negativen Gedanken und Gefühlen! In diesem Fall mag man jetzt entgegnen: „Die Bäume haben gestern auch schon da gestanden, oder?“ Ja, haben sie! Aber ich bin bei diesen ungewöhnlich hohen Temperaturen genau an diesem Stück Weg angekommen. Es hätte ja auch so auskommen können, dass ich jetzt schon zehn Kilometer weiter wäre. Ob da auch Bäume stehen, werde ich noch gewahr. Und wenn nicht, knallt die Sonne dann immer noch gnadenlos oder schickt der Himmel mir ein paar Wolken? Ich werde berichten.
Wie gewohnt ist weit und breit kein Pilger in Sicht. In einiger Entfernung bestellen einige Bauern ihre Felder. Ich genieße die wunderschöne Landschaft und bin unbekümmert auf „meinem Camino“ unterwegs, bis mir ein Jogger entgegenkommt. Er läuft zusammen mit seinem großen Hund. Er ist noch ein ganzes Stück von mir entfernt. Meine Gelöstheit ist plötzlich wie weggeblasen. Ich gebe zu, dass ich erstaunlicher Weise ängstlich auf den Moment des Zusammentreffens der beiden Hunde gespannt bin. Hoffentlich ist der lieb und will nur spielen! Ist es Ruddi wirklich über Nacht gelungen, den Schock von Castrojeriz zu überwinden und dem „Fremden“ unvoreingenommen gegenüberzutreten?
Es gefällt mir gar nicht, solche Gedanken zu haben. Das „Gesetz der Anziehung“ sorgt stets dafür, dass ich das in meine Erfahrung ziehe, woran ich intensiv und emotional denke. Dabei spielt es - wie schon erwähnt - keine Rolle, ob meine Gedanken positiv oder negativ sind, sie sind in jedem Fall magnetisch und ziehen die Essenz dessen, was ich fühle, in mein Leben. Das soll nicht bedeuten, dass sofort wieder eine Beißerei entsteht, aber die Angst davor, dass es passieren könnte, zeigt sich mir weiterhin und wird größer, könnte dann ausarten und Dinge anziehen, die ich nicht erleben will. Es ist sehr belastend mit Angstgedanken unterwegs zu sein. Auf solche Gefühle kann ich locker verzichten. Also kommt es darauf an, meine Einstellung zu ändern.
Anstatt in Panik zu verfallen, bleibe ich stehen und lenke mich mit einem Rundblick in die Landschaft von der bevorstehenden Begegnung ab. Ich sehe mir die Bäume und Pflanzen genauer an, betrachte den „Kastilischen Kanal“, der im 18. Jahrhundert der Güterschifffahrt und Bewässerung diente. Ich befinde mich gerade auf dessen Versorgungsweg und
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