5 1/2 Wochen
Bäumen auf einer dunkelgrünen saftigen Wiese. Etwas seitlich steht ein Brunnen, an dem man sich ein bisschen abkühlen könnte. Ich kann nicht anders, als mich hier nochmal niederzulassen und Ruddi das kühle Gras zum Reinkuscheln zu gönnen. Bis zum Etappenziel liegen noch vier Kilometer vor mir. Die schaff ich schon auch noch, obwohl ich gestehen muss, dass ich mich eben dabei erwischt habe, mich nach einer Unterkunft umzusehen. Ich merke immer wieder, dass mein Körper ab dem 25. Kilometer anfängt zu streiken. Wäre der Rückflug noch nicht gebucht, würde ich noch ein paar Tage dranhängen und meine Knochen und Muskeln nicht so schinden. Hätte, wäre, wenn und aber! Was nützt es? Ich habe gebucht und ich will es schaffen, da muss ich jetzt durch.
In meine Gedanken hinein, spricht mich ein Mann an, der soeben mit einem Fahrrad zu mir gestoßen ist. Er ist Hospitalero in Villalcázar de Sirga, meinem Etappenziel. Er spricht mich auf Deutsch sehr resolut an: „Du musst hier in diesem Ort bleiben. Es gibt eine Herberge, die ist zwar total heruntergekommen, aber in Villalcázar ist kein einziges Bett mehr frei.“ Ich bin entsetzt, dass mir jemand ungefragt meine Pläne durchkreuzen will: „Ich will ja gar kein Herbergsbett, sondern werde in einem Hotel oder einer Pension übernachten.“ Er bleibt wild entschlossen am Ball: „Ich weiß genau, dass das eine Hotel ausgebucht ist! Bei dem anderen bin ich mir nicht ganz sicher, aber bis Du da ankommst, wird alles belegt sein.“ Ich lasse ihn mehr oder weniger links liegen, ich will das alles gar nicht hören. Es wird schon gutgehen, ich mach das schon. Kopfschüttelnd gibt er mir noch einen letzten Rat: „Dann geh wenigstens jetzt sofort los. In Villalcázar ist der Teufel los. Es sind ganz viele Rad fahrende Touristen, die keine Pilger sind, unterwegs. Die wollen und müssen alle im Hotel übernachten. Beeil Dich.“ Sprach‘s und radelt von dannen.
Konfus blicke ich ihm hinterher und denke so bei mir: „Nichts geschieht einfach so, alles hat irgendeinen Sinn, auch diese unvorhergesehene Begegnung.“ Etwas nervös mache ich mich an die letzten vier Kilometer und stelle fest, dass mir dieser Mann mehr Druck gemacht hat, als ich vorhin wahrhaben wollte. Ich gehe deutlich schneller, bin ganz außer Atem und meine Bremse finde ich auch nicht.
Gleicher Tag (insgesamt 372 km gelaufen)
Villalcázar de Sirga (229 Einwohner), 809 üdM, Palencia
Casa Rural, Doppelzimmer, 20 Euro pro Person ohne Frühstück
Das erste Hotel finde ich direkt am Ortseingang. Es ist schnuckelig, lädt zum Verweilen ein. Mir fallen sofort die vielen Fahrräder auf, die hier abgestellt wurden. Ich werde mit Ruddi an der Leine lachend und herzlich empfangen, aber auch unverzüglich und dringlich weitergeschickt. Frei übersetzt sagen sie mir: „Du musst sofort woanders ein Zimmer suchen, wir sind voll belegt. Gegenüber die Herberge ist auch schon gnadenlos überfüllt. Beeilung, sonst wird es eng! Venga, venga!!!“ Die nette Frau schiebt mich quasi zum Ausgang. Schade, hier würde ich so gerne bleiben, dieses Haus strahlt so viel Liebe zum Gast aus. Das haben wohl viele andere vor mir auch schon erkannt. Es hilft nichts! Ich gehorche.
Enttäuscht und vollkommen am Ende angesichts so viel Stresses setze ich mich auf die breite Treppe vor der Herberge, die tatsächlich genau gegenüber angesiedelt ist. Ich bin damit beschäftigt mich zu sammeln, als mich der Herbergsvater anspricht: „Ich habe Dich doch eben noch in Villarmentero gesehen. Da warst Du aber schnell unterwegs.“ Ich staune nicht schlecht, als der autoritäre Radfahrer vor mir steht. Ich bin erstaunt, dass er meine Sprache so gut spricht und erfahre, dass er Holländer ist. Er nimmt neben mir Platz und sieht sofort wie fertig ich bin - dass da gar nichts mehr geht. Mit seiner beruhigenden Hand auf meiner Schulter höre ich ihn sagen: „Ich fahre jetzt mit dem Fahrrad durch den Ort und guck mal was ich für Dich tun kann. Bleib einfach hier sitzen. Bin gleich wieder da.“
Eine Viertelstunde später ist er zurück: „Es ist kein Bett mehr frei. Du musst per Anhalter nach Carrión fahren. Hier kannst Du nicht bleiben.“ Mit Tränen in den Augen gebe ich ihm zur Antwort: „Ich will unter keinen Umständen fahren, ich will laufen. Ich will nicht weiter und ich kann auch nicht mehr.“ Meine Botschaft ist bei ihm angekommen: „Moment, ich fahr noch mal.“ Schwungvoll radelt er erneut von dannen. Nach einer halben
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